Dieter Schornstein bleibt unvergessen: Der Stahlbau-Unternehmer und Porsche-Rennfahrer verstarb am 19. Dezember 2014 im Alter von 74 Jahren. Heute jährt sich sein Todestag zum zehnten Mal. Es ist erste Chronistenpflicht, an den beliebten Aachener Sportsmann zu erinnern. Viele seiner Erfolge im Rennsport – um Haaresbreite wäre er mit Harald Grohs Langstrecken-Weltmeister geworden – der siebziger und achtziger Jahre erzielte der passionierte Rennradfahrer auf dem urgewaltigen Porsche 935/77A. Das 1978 im Porsche-Werk neu bestellte Kundensport-Exemplar mit der Chassisnummer 930 890 0012 triumphierte 1984 noch einmal bei den 12 Stunden von Sebring in den Vereinigten Staaten.
Es ist Donnerstag, der 31. Mai 2012. In einem Dienstzimmer des Aachener Porsche Zentrums sitzen drei Herren hinter verschlossenen Türen. Sie tun dies aus gutem Grund, denn sie alle sind mit den Vorbereitungen auf ein Großereignis beschäftigt. Der vierte “Classic Day” des Porsche Zentrums am Europaplatz steht unmittelbar bevor, dieser wird am 30. Juni 2012 stattfinden. Zu den Programmhighlights soll eine Talkrunde mit Rennlegenden aus der Kaiserstadt – und natürlich auch von außerhalb – gehören. Der Journalist und Motorsport-Historiker Carsten Krome sitzt mit am Tisch. Er soll die Moderation des ersten “Legenden-Talks” – so die spontane Wortschöpfung an jenem 31. Mai 2012 – übernehmen. Seine beiden Zuhörer, Heinz Quandt und Geschäftsführer Uwe Burger, sind seitens der Aachener Werksvertretung für die Organisationsleitung zuständig. Es kommt die Frage auf, wer neben Willi Kauhsen – der legendäre Dompteur des 917/10 turbo mit weit über 1.000 PS ist fest gesetzt – das Wort ergreifen soll, und sofort fällt der Name Schornstein, Vorname Dieter.
Bei den alljährlichen “Hallo, wie geht’s?”-Klassentreffen von und mit Rainer Braun hat der 1984 zurückgetretene Privatfahrer stets durch seine Anwesenheit geglänzt – und sich offenbar allerbester Gesundheit erfreut. Viele beneiden den Stahlbau-Unternehmer, der kein Alter zu kennen scheint. Er, der zu aktiven Rennfahrer-Zeiten mit dem Rad von Aachen nach Le Mans zu den 24 Stunden gereist ist und seiner Pedal-Passion in den folgenden drei Jahrzehnten treu bleibt, legt großen Wert auf Lebensqualität. Sein “Kampfgewicht”, wie er es zu Lebzeiten nennt, hält er konsequent bei 69 Kilo. Als er 2001, im Alter von 71 Jahren, noch einmal in einen Porsche 935 steigt, passt ihm der 1984 zuletzt getragene Rennanzug noch immer. Da Dieter Schornstein hauptsächlich nahe Aachen wohnt, liegt eine Einladung zum vierten Klassiker-Tag des örtlichen Porsche Zentrums nahe. Er kommt dieser mit er ihm eigenen Verlässlichkeit nach und erscheint am 30. Juni 2012 wie vereinbart im Kaufhaus der Traumsportwagen am Europaplatz.
Dort angekommen, bereichert er den ersten “Legenden-Talk” mit seinen punktgenauen Erinnerungen an eine mit vielen Legenden und Mythen behaftete Ära des Motorsports. So ist Dieter Schornstein 1983 einer der Besteller der ersten elf Porsche 956 gewesen, die seinerzeit zum Stückpreis von 630.000 D-Mark verteilt worden sind. Dieser Umstand ist einem Boulevardblatt die reißerische Schlagzeile wert, ein Aachener Schlossermeister habe für sich den teuersten Porsche überhaupt bestellt. Dieter Schonstein verzieht sein Gesicht zu einer Grimasse, als er diese Anekdote zum Besten gibt. “Das war mir gar nicht recht!”, bekennt er. Zwei Einsatzjahre gönnt er sich mit dem Chassis 956.105, bevor er im Frühjahr 1985 einem Weiterverkauf an den Niederländer Kees Kroesemeijer zustimmt. Er hat zuletzt anerkennen müssen, dass die Luft für Privatfahrer wie ihn in der Gruppe C sehr dünn geworden ist. Junge Talente wie der Giessener Porsche-Werkspilot Stefan Bellof setzen gänzlich neue Maßstäbe, und Schornstein reflektiert 2012 auf der Aachener Legenden-Talk-Bühne: “Der Junge war immer und überall superschnell. Ich habe gar nicht erst versucht, mit ihm gleichzuziehen. Das ging überhaupt nicht.” Auch sein Startverzicht beim letzten 1.000-Kilometer-Rennen 1983 auf der Nürburgring-Nordschleife wird zum Thema: “Ich habe zur Bedingung gemacht, dass mein 956er beim Deutschen Lloyd versichert werden sollte, da ich das Kostenrisiko nicht allein tragen wollte. Als das nicht funktionierte, zog ich 956.105 zurück. Als sich dann später im Rennen ein Unfall nach dem anderen ereignete, war ich mit meiner Entscheidung im Reinen.”
Sein schwarz-gelber Porsche 956, der 1984 im Königlichen Park zu Monza/Italien unter dem Stadtwappen Bad Aachens antritt und so zur Legende wird, existiert im Bestand eines US-amerikanischen Sammlers noch immer. Lange Zeit unbekannt ist der Verbleib des 1978 neu im Werks-Kundensport angeschafften Porsche 935/77A mit der Chassisnummer 930 890 0012. Inzwischen ist das unrestaurierte Original in eine Privatsammlung übergegangen. Sechs Jahre lang ist der Doppellader im Einsatz, ehe er 1984 noch einmal die 12 Stunden von Sebring gewinnt – mit Hans Heyer, Stefan Johansson und Mauricio de Narvaez. Es ist gleichzeitig das letzte Aufbäumen der alten, immer wieder modernisierten “Kreissäge” bei einem Rennen von internationaler Bedeutung. Eigentlich hat Dieter Schornstein den 935er 1981 bei Reinhold Joest auf das Chassis #000 00016 in Zahlung gegeben. Rolf Stommelen und Manfred Winkelhock haben es 1980 in der Deutschen Automobil-Rennsportmeisterschaft gefahren, für Schornstein geht es 1981 um den Weltpokal der Langstreckenfahrer. Er verstärkt sich mit Harald Grohs und Walter Röhrl. Das Trio gewinnt im englischen Landregen die sechs Stunden von Silverstone, zwei Wochen danach ruft das Heimspiel auf der Nürburgring-Nordschleife mit einem neuen Werksmotor und 836 PS bei vollem Ladedruck. Doch der tödliche Unfall des 41-jährigen Eidgenossen Herbert Müller auf Porsche 908/3 überschattet die sportlichen Ereignisse. Bis zum Finale der Weltmeisterschafts-Saison 1981 in Brands Hatch haben die drei Deutschen im Vegla-Porsche 935J der Vereinigten Glaswerke Aachen noch Titelchancen. Doch dann setzt sich überraschend der US-Amerikaner Bob Garretson durch.
Im Training der 24 Stunden von Le Mans im Juni 1982 kracht Harald Grohs auf einer schnellen Runde mit dem Schonstein-Porsche #000 00016 ins Aus und sitzt 41 endlose Sekunden im Feuer. Der 935J ist ein Quasi-Totalschaden, Dieter Schornstein trägt es mit Fassung. Reinhold Joest stellt ihm seine ursprüngliche Inzahlungnahme wieder zu Verfügung, um die laufenden Sponsorverträge erfüllen zu können. 2005 tritt der aufwändig instandgesetzte Unfallwagen wieder in Erscheinung, geht in den Privatbesitz eines Sammlers über. Auch der 934/5 mit der Fahrgestellnummer 930 670 0158, mit dem sich Dieter Schornstein 1977 an der Deutschen Automobil-Rennsportmeisterschaft beteiligt, taucht 2007 bei einer Klassik-Messe wieder auf. Der Einzellader ist ebenfalls Gegenstand einer Rückabwicklung gewesen – Ende 1976 von Gerhard Holup übernommen, Ende 1977 an ihn zurückgegeben. Anschließend erwirbt Dieter Schornstein im Werk den 935/77A mit der Chassisnummer 930 890 0012 und gibt seinen Einstand bei den 24 Stunden von Le Mans. Insgesamt sieben Mal startet er beim Langstrecken-Großereignis an der Sarthe, zuletzt 1984 mit dem 956. Seine zehn Jahre währende Rennfahrer-Karriere, die auf Porsche Carrera ihre Anfänge genommen hat, beendet er am 2. Dezember 1984 im australischen Sandown Park. Stefan Bellof wird an diesem Tag der erste deutsche Fahrer-Weltmeister auf der Rundstrecke. Drei Jahre zuvor haben Schonstein und Harald Grohs genau diesen Erfolg noch auf dem Fuß. Doch die Motorsportwelt verändert sich rasant zu dieser Zeit. Seinem Sohn Heinz-Dieter übergibt Dieter Schornstein 2001 nicht nur die Leitung des Betriebes für Metallbau-Konstruktionstechnik, sondern auch das Rennfahrer-Gen mit auf den Weg. Schornstein junior ist lange Zeit auf der Nürburgring-Nordschleife in forcierter Gangart unterwegs – unter anderem auch für Kremer Racing, einer der Stationen seines Vaters.
Am 19. Dezember 2014 – heute vor zehn Jahren – endet das Leben des 74-Jährigen Ex-Rennfahrers verhältnismäßig früh. “Wenn Ihr an mich denkt, seid nicht traurig, sondern habt den Mut, vor mir zu erzählen!”, so lautet sein letzter Gruß an die Nachwelt. Der vierte “Classic Day” des Porsche Zentrums am 30. Juni 2012 wird als eine letzte Begegnung mit ihm in bester Erinnerung bleiben. “Sie können mich gern einmal anrufen”, sagt er im Nachgang an die Interviewrunde, und überreicht seine Visitenkarte. Doch diese geht auf dem Heimweg zwischen Postkisten verloren – eine auf tragische Weise verpasste Chance.
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