Große Wiedersehensfreude am 18. Juni 2017 – vor mehr als sieben Jahren: Der Ford Sierra RS 500 Cosworth Gruppe A, der am 18. Juni 1988 auf der Nürburgring-Nordschleife erfolgreich um den DTM-Titel kämpfte, kehrte 29 Jahre später in die “Grüne Hölle” zurück. Nicht nur der blütenweiße “Cossie” ließ den 90. Geburtstag des Eifelkurses zu einem Fest werden, viele weitere Originalfahrzeuge erinnerten an die Blütezeit des Rennsports mit seriennahen Tourenwagen.
Am 18. Juni 1927 ist der Nürburgring eröffnet worden – am 18. Juni 2017 fand die Großveranstaltung „Nürburgring Classic“ statt. Für viele der Anwesenden war das 40-minütige Rennen der Tourenwagen-Klassiker das Hauptereignis des Tages. Mit von der Partie im Feld der Publikumslieblinge der Entstehungsjahre 1983 bis 1999: ein Ford Sierra RS 500 Cosworth Gruppe A mit wechselvoller Vorgeschichte. Inzwischen im Besitz des Münchners Sebastian Glaser, rannte der blütenweiße “Cossie” 29 Jahre zuvor zu Titelehren in der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft, der DTM. Klaus Ludwig war derjenige, der sich mit Fahrkönnen und politischem Geschick die Meisterschaft 1988 sicherte. Für ihn bedeutete der DTM-Gewinn den Absprung zu Mercedes-Benz – hin zu einer Rekordgage.
“Dinner for one – der 90. Geburtstag”: Der Gedanke an das Schwarz-Weiß-Zeitalter, an das Uralte, an das Ehrwürdige, ist mehr als naheliegend bei einem Jubilar von diesem gesegneten Alter. Doch in der Geschichte des Nürburgrings, seit dem 18. Juni 2017 ebenfalls 90-Jährig, kommen auch farbenfrohe Kapitel vor. Eins wird auf den Tag genau 29 Jahre vor dem runden Geburtstag geschrieben. Am 18. Juni 1988 betritt die Deutsche Tourenwagen-Meisterschaft, kurz DTM, die ganz große Bühne der mehr als 20 Kilometer langen Nordschleife. Es ist der Geniestreich von Hans-Werner Aufrecht und seiner Interessengemeinschaft Tourenwagen-Rennen e.V., kurz ITR, die für die Ausrichtung der neuen deutschen Tourenwagen-Bundesliga verantwortlich zeichnet. Aufrecht, einer der beiden Gründerväter des Mercedes-Benz-Haustuners AMG, weiß nur zu gut, was ihm auf der Nordschleife bevorsteht: eine Zweiklassen-Gesellschaft aus Kennern des Eifelkurses und denen, die ihn fürchten, ein überhöhtes Unfallrisiko und vor allem: eine Traumkulisse. Die Fachwelt hat bereits gestaunt, als er am 3. April 1988 in Zolder dank einer beispiellosen Freikarten-Aktion 53.000 Zuschauer begrüßt – die neue Renommier-Rennserie braucht Zuschauerzahlen und noch viel mehr: Sie braucht das Fernsehen. Auf der Nürburgring-Nordschleife sind 100.000 Besucher zu erwarten, und tatsächlich kommen sie auch. Bei der DTM-Premiere auf der 1984 eigentlich in Rente geschickten Berg- und Talbahn erleben sie einen überlegenen Armin Hahne, der beide Läufe über jeweils vier Runden mit Abstand gewinnt. Der gelernte Zahntechniker aus Moers am Niederrhein, seit 1977 im Berufsstand des Profi-Rennfahrers, sitzt im Ford Sierra RS 500 Cosworth des schwäbischen Tuners Walter Wolf.
Einem schmeckt der Auftritt des Wolf-“Cossie”, der im Gegensatz zu den anderen auf Michelin-Reifen rollt, überhaupt nicht: Klaus Ludwig, Titeljäger im baugleichen Zweitürer des Siegener Ford-Händlers Bernhard Grab. Ludwig wähnt sich im Hintertreffen, kartet immer wieder nach – auch am Nürburgring. Er wird bei Ford- Rennleiter Lothar Pinske vorstellig, fordert Gleichstellung ein. Pinske kontert jedoch, Wolf habe ganz einfach die bessere Fahrer-Auto-Reifen-Kombination. Und so sammelt Ludwig als Vierter und Fünfter immerhin wertvolle Meisterschaftspunkte. Am Ende kann er heilfroh sein, vom Schicksal seines Markenkollegen Klaus Niedzwiedz verschont geblieben zu sein: “Niedze” fliegt bei 290 km/h aufgrund eines geplatzten Reifens ab und bricht sich den Oberarm. All das wird am 15. Oktober 1988 beim Preis der Stadt Esslingen vergessen sein. Auf dem Hockenheimring macht Klaus Ludwig allen Unkenrufen zum Trotz sein Meisterstück. Es ist der letzte Titelgewinn eines Ford-Piloten, zwölf Monate später ziehen sich die Kölner nach endlosem Gezerre um die korrekte Einstufung ihres Vierzylinder-Turbomotors zurück. Die “klassenlose Gesellschaft” ist zu dieser Zeit das gern bemühte Zauberwort, die Übersetzung in die heutige Zeit lautet “Balance of Performance” – ganz ohne Politik funktioniert beides nicht. Ludwig ist auf diesem Gebiet ein Großmeister, die Branche tauft ihn hinter vorgehaltener Hand “die Schmierwurst”. Im Vorfeld der DTM-Saison 1989 unterschreibt er einen Vertrag mit Mercedes-Benz, wechselt in den viertürigen AMG-190E 2.3-16, erhält mit der Duisburger Bierbrauerei Dr. Leo König einen neuen Sponsor – und verdient eine Traumgage. Die eine Million D-Mark per anno ist nie ernsthaft dementiert worden. Sehr viel später sollen die Fahrergehälter bei 400.000 D-Mark eingefroren werden, um die Budgets zu entlasten. Als diese Idee auf den Tisch kommt, ist das Kind allerdings tief in den Brunnen gefallen und die ITC – das steht für International Touringcar Championship – als DTM-Nachfolgeserie am 25. September 1996 krachend gescheitert. Die Vorstände von Alfa Romeo und Opel erteilen 150-Millionen-D-Mark-Etats zeitgleich eine Absage. Nach erfolgreichen Anfangsjahren begehen die DTM-Verantwortlichen im Herbst 1992 den verhängnisvollen Fehler, das seriennahe Reglement zu verändern. Anstelle der Gruppe A soll die technisch viel aufwändigere Klasse 1 mehr Hersteller mit Mitmachen animieren. Doch statt dessen ziehen sich Audi und BMW unmittelbar nach der Konzeptionsphase wieder zurück. Der Geist des 18. Juni 1988, als alle einfach nur froh sind, großes Kino auf ihrer oft heimlich geliebten Nordschleife zu erleben, kommt schleichend abhanden.
Für die Hauptdarsteller der damaligen Zeit – Lenkrad-Artisten und ihre Tourenwagen gleichermaßen – gilt das nicht. Deren Lebenswege können heute bis ins Detail nachvollzogen werden. Der Grab-Ford Sierra RS 500 Cosworth zum Beispiel, mit dem Klaus Ludwig 1988 die meisten Punkte einfährt, wird zur Saison 1989 umlackiert und dem Neusser Nachwuchsmann Frank Biela anvertraut. Nach dem Ford-Ausstieg aus der DTM Ende 1989 tritt das Meisterauto nicht etwa den Weg ins Werksmuseum an, sondern reist weiter, nach Finnland. Dort nimmt es Kalle Sarlin, ein guter Bekannter in der Ford-Sportabteilung, entgegen. Der Nordeuropäer hat 1998 bereits einen Ford Sierra XR4 ti übernommen, den er beim Kemora 500 Midnight Sun Race in zwei aufeinanderfolgenden Jahren mit der Ford-Lady Beate Nodes aus Bürgstadt besetzt. 1990 steigt er in den weitaus stärkeren Ford Sierra RS 500 Cosworth, um damit bis 1992 an der heimischen Super-Saloon-Meisterschaft teilzunehmen. Anschließend lagert er den Sierra ein. 25 Jahre vergehen, ehe der Dornröschenschlaf vorüber ist und mit Sebastian Glaser ein Käufer vor der Tür steht. Der Münchner bringt das Schmuckstück zu Robert Rüddel nach Duisburg-Großenbaum, um es dort auf neue Einsätze vorbereiten zu lassen. Am 18. Juni 2017 kommt es schließlich dazu. Anlässlich der 90-Jahr-Veranstaltung des Nürburgrings tragen die Tourenwagen-Klassiker ihren zweiten Wertungslauf der Saison 2017 aus. Dem neuen Format eilt der Ruf voraus, historischen Motorsport auf eine erfrischend lebendige Art und Weise zu präsentieren. Mit dem einstigen BMW-Junior Marc Hessel gehört ein Ehemaliger aus der DTM der Serien-Organisation an. Der gebürtige Bonner sitzt ebenfalls in einem Ford Sierra RS Cosworth, der in Rot lackiert ist und Volker Schneider – 1986 selbst in der DTM auf einem Ex- Ringshausen-Ford Mustang GT 5.0 aktiv – gehört. Unterwegs fällt immer wieder der hintere Bremskreis aus, was die Fahrt auf dem Grand-Prix-Kurs des Nürburgrings zum schwierigen Unterfangen werden lässt. Immerhin: Hessel ist dabei, und auch Ralph Bahr fährt aktiv mit. Der 47-jährige Unternehmer aus Wiesbaden hat im Winter jenen BMW M3 E30 2.3 ergattern können, der als erster Siegerwagen der gesamten Baureihe in die Geschichte eingegangen ist – im März 1987, beim Sportwagenfestival auf dem kleinen Kurs des Hockenheimrings.
Harald Grohs war der Volanteur, und vor sieben Jahren verklärt der 73-Jährige: “Da war vielleicht was los, mein lieber Mann! Die Werks-M3 waren wegen ihrer Dünnblech-Karosserien eine Woche zuvor beim Tourenwagen-Weltmeisterschaftslauf in Monza allesamt disqualifiziert worden. Und dann kam ich, mit meiner kleinen Vogelsang-Truppe rund um Gotthard oder ‘Harry’ Valier, und habe die versammelten Werks-M3 in Hockenheim abgehängt. Ich habe mir nachher schon so einiges anhören müssen, aber das war mir doch egal! Ich war denjenigen zum Erfolg verpflichtet, die meine Schecks unterschrieben haben – ohne Wenn und Aber! Eric van de Poele ist ja trotzdem Meister geworden mit dem Zakspeed-BMW M3, eingesetzt im Werksauftrag.” Dass Harald Grohs, den sie einst den “Nippel” nannten, seinen 30 Jahre alten Ex-Dienstwagen nur zu gerne wieder einmal fahren wollte, äußerte er bereits im Dezember 2016 auf der Essen Motor Show. Ralph Bahr reagierte anfangs hin- und hergerissen: einerseits geehrt, auf der anderen Seite auch tiefer in Sorge um seine Investition. Der Marktwert eines professionell restaurierten DTM- Originalfahrzeugs mit dokumentierter Historie und unzweifelhaftem ONS-Wagenpass hat Porsche-Dimensionen erreicht. Ein halbwegs ordentlicher BMW M3 E30 in Gruppe-A-Ausführung ist unter 200.000 Euro kaum noch zu haben, die Einsatz- und Betriebskosten entsprechen denen eines FIA-GT3-Sportwagens. Auch wenn Harald Grohs stets in den Raum stellte, aus Begeisterung für die gute Sache auf ein Fahrerhonorar zu verzichten (O-Ton: “Die sollen zusehen, dass ich nicht im Wohnwagen schlafen muss, dann ist die Welt für mich in Ordnung!”), ist der Spaß bei den Tourenwagen-Klassikern schon noch ein teurer.
Stefan Rupp zum Beispiel, der einen feuerroten Alfa Romeo 155 V6 TI aus der ITC-Schicksalssaison 1996 an den Start bringt, weiß davon ein Lied zu singen. Mit dem Geld, dass der Landshuter Hobby-Rennfahrer ausgibt, könnte er getrost einen neuen Ferrari 488 GT3 betreiben – aber er will eben nicht, lieber lässt er Techniker im halben Dutzend aus Italien einfliegen, um der Allrad-Diva Herr zu werden. Auch am Nürburgring treibt ihn der ehemals von Giancarlo Fisichella gefahrene Alfa in den Wahnsinn: Trainingsbestzeit, überlegene Führung – und dann bleibt die Fuhre nach zwei Renndritteln an der Boxeneinfahrt ganz einfach stehen! Zwar bekommen die Mechaniker das “TV Spielfilm”-Gefährt noch einmal flott, aber der Sieg ist dahin. Ihn erbt Jörg Hatscher, Stephan Rupps Sparringspartner im ITC-Mercedes C-Klasse des Jahrgangs 1996. Sieben Exemplare des letzten Hightech-Tourenwagens durften bei AMG entstehen. Jörg Hatscher besitzt das ehemalige Einsatzfahrzeug des Dänen Jan Magnussen. Mit der Startnummer 3 drehte dieser vor 21 Jahren bei der ITC auf dem Nürburgring-Grand- Prix-Kurs seine Runden, im weiteren Verlauf der Saison 1996 durfte auch der wilde Kolumbianer Juan-Pablo Montoya eine Duftmarke setzen. Jan Magnussen hat bereits eine erste Sitzprobe absolviert und durchblicken lassen, für einen Gasteinsatz bereit zu sein. “Weißt du”, lächelt er verschmitzt, “da habe ich einmal in Magny Cours in Führung gelegen. Hinter mir kam einer der Alfa mächtig auf. Mit seinem Allradantrieb konnte der so viel früher aus Gas gehen als ich, da hattest du einfach keine Chance – trotz hydraulisch gesteuertem Fahrwerk!”
Über all das kann ein 66-jähriger Urschwabe am 18. Juni 2017 nur milde lächeln: Roland Asch. Der Zweiplatzierte der DTM 1988 – selbstverständlich damals schon auf Mercedes 190E 2.3-16 – bringt seinen 1991 genutzten Zakspeed-Renner aus dem Mercedes-Museum mit. Das grün-weiß gestreifte Evolutionsmodell ist den Klasse-1-Überfliegern zwar unterlegen, doch im Zeittraining langt es dennoch zu Rang drei. Asch, nach einer Verletzungspause wieder fit wie ein Turnschuh, setzt sich auch im 40-Minuten-Rennen an dritter Stelle fest. Mit Sebastian Glaser im Ex-Ludwig-Ford liefert er sich ein herzerfrischendes Duell – ausgerechnet! Denn das ist ganz genau jener “Cossie”, in dessen Rücklichter er vor 29 Jahren geblickt hat, als der “Super-Klaus” mit 16 Zählern Vorsprung Meister wurde und er eben nicht. Er quittiert es mit der ihm eigenen guten Laune, denn nur eines zählt an diesem schönen Sonntag im Juni 2017: Sie alle sind endlich wieder beisammen – sogar Rainer Braun, die damals 77-jährige Sportmoderatoren-Legende, sitzt nach einem gesundheitlichen Einschlag wieder in der Kabine des Streckensprechers und verzaubert die Menschen mit seiner einzigartigen Stimme. Für sie alle gilt ein- und dieselbe Erkenntnis: “Wir kamen einen langen, weiten Weg – doch jetzt sind wir hier!” Manche verdrücken dabei sogar ein Tränchen. Auch Klaus Ludwig hat sein Interesse signalisiert, auch mitfahren zu wollen – am liebsten mit dem “Cossie”. Und da steht noch einer in den Startlöchern: Armin Hahne. Vor 29 Jahren war er der Unschlagbare auf der Nürburgring-Nordschleife, nun möchte auch er noch einmal zurückkommen – mit seinem 1987er “Cossie” von Walter Wolf. Der steht nun in England, ein Sammler hat ihn gekauft und wieder auf Vordermann gebracht. “Ich kann doch froh sein”, grinst er, der ewig Coole, “dass der nicht auch in Neeseeland gelandet ist. Dort ist nämlich mein Jägermeister-M3, den ich 1992 im Team von Ludwig Linder gefahren habe, neu aufgebaut worden.” Dass diesem Traditions- Orchester eine blühende Zukunft beschieden ist, steht außer Frage. Das weiß auch Volker Strycek, am Nürburgring mit einem STW-Opel Astra aus Südafrika dabei. Der Meister von 1984 wundert sich: “Da kommen junge Leute, die zu unserer Zeit noch gar nicht auf der Welt waren, und sagen ‘geil, geil, geil’! Diese Generation kennt uns nur vor von den Filmen auf YouTube, und sie mag uns trotzdem. Darin liegt der Vorteil unseres Online-Zeitalters!”
Fazit: Dieser 18. Juni 2017 ist nur der Anfang, keine bemühte Schnauferl-Parade mit schräger Blasmusik und der Hymne “Ich hatte einen Kameraden”. Denn die Tourenwagen-Klassiker haben das Zeug, die Hütte wieder voll werden zu lassen – besonders dann, wenn es endlich wieder auf die Nordschleife geht! Im Renntempo, nicht nur zu Demonstrationsrunden.
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