Eine glücklich verlaufene Ehe feiert man(n) für gewöhnlich mit der Liebsten am Meer. Das würde der Rennfahrer und Familienmensch Marc Hessel auf der Stelle unterschreiben, denn auch er reiste mit der Gattin und den gemeinsamen Kindern an die schöne Nordsee. Nicht ganz zufällig wählte der DTM-Held das niederländische Seebad Zandvoort als Feriendestination. Schließlich galt es, eine weitere Verbindung zu würdigen: die zur Marke BMW nämlich. Dieser Umstand machte Hessel beim Historic Grand Prix auf dem Dünenkurs am Wochenende zu einem besonders vielbeschäftigten Mann. Er drehte in gleich zwei Denkmälern der weiß-blauen Rennsportgeschichte seine Runden, wie Carsten Krome zu berichten weiß.
Zum niederländischen Circuit Park Zandvoort pflegt Rennfahrer Marc Hessel eine besondere Beziehung. In den alles entscheidenden Jahren vor seiner Nominierung zum BMW-Werksjunioren in der DTM 1987 feierte er auf dem Dünenkurs große Erfolge im Formel-Rennsport, so zum Beispiel 1985 bei der Europameisterschaft der Formel Ford 1600. Hessel gewann dort auf Anhieb – übrigens vor seinem späteren BMW-Stallgefährten Eric van de Poele – und galt im darauf folgenden Jahr als einer der Kronfavoriten auf den Titel des Europameisters. Als sein härtester Widersacher erwies sich ein Finne mit dem schier unaussprechlichen Namen Jyrki Jarvi, kurz JJ, Lehto. In Zandvoort zog der strohblonde Nord-Mann gegen den Rheinländer mit der Mecki-Frisur zwar den Kürzeren, doch im Schlussklassement setzte er sich mit einer Winzigkeit von nur einem halben Punkt Vorsprung durch. Ausschlaggebend dafür war ein Kurzschluss in Marc Hessels Bordbatterie im Regen von Zolder bei einem der späteren Europameisterschaftsläufe. Immerhin: Er hatte designierte Formel-1-Fahrer besiegt und für sich selbst eine Visitenkarte abgegeben. Ebenfalls im Regen von Zolder triumphierte er wenig später, im April 1987, zum ersten Mal auf BMW M3 bei der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft, der DTM. Da liegt es natürlich auf der Hand, dass ihm dieser kantige Fahrzeugtyp der Baureihe E30 in seiner Urform bis heute ans Herz gewachsen ist. Im Düsseldorfer Rennstall 2.0 Automotive von Sebastian Küppers und Martin Stranzl pilotiert er ein exakt solches Auto in exakt jener Gruppe-A-Konfiguration, die bis zum nächsten Entwicklungsschritt 1989 mit Motor-Drehzahlen bis zu 9.600/min Gültigkeit besaß. Das bevorzugte Einsatzgebiet: die hart umkämpfte Klasse 3 der Tourenwagen Classics, in Kurzform TWC. Auf dem Dünenkurs von Zandvoort trug die Kult-Rennserie für klassische Renntourenwagen ihren fünften Wertungslauf der Saison aus.
Erstmals war Marc Hessel als Solist im Cockpit vorgesehen, nachdem er drei Wochen zuvor beim AvD-Oldtimer-Grand-Prix auf dem Nürburgring aufgrund einer fiebrigen Grippe-Erkrankung gar nicht zum Einsatz gekommen war. Zudem hatten Sebastian Küppers und sein 2.0-Technikerteam die komplette Hinterachs-Konstruktion nach nächtlicher Notreparatur, um auf dem Eifelkurs überhaupt mitfahren zu können, erneut in den Ursprungszustand zurückversetzt. Dies bedeutete eine zusätzliche Herausforderung, denn kurzfristig angefertigte Zuliefererteile mussten mit den bestehenden Original-Komponenten in Einklang gebracht werden. Das scheiterte im ersten freien Training am niederländischen Landregen, der die Strecke nachhaltig unter Wasser setzte. Die Konsequenz: Lediglich neun Fahrzeuge nahmen das erste freie Training auf. Im zweiten Durchgang erlebte Marc Hessel dann eine Doublette der Ereignisse bei der Europameisterschaft der Formel Ford in Zolder 1986: Wieder legte ihn ein Kurzschluss in der Bordbatterie lahm. Die vier Runden bis zu diesem Ausfall ließen dennoch einen positiven Gesamteindruck aufkommen: „Auch wenn die Flansche der Antriebswellen mit etwas Spiel liefen, funktionierte die Einheit als Ganzes. Vor allem die Eingriffe in den Fahrwerksbereich zahlen sich allmählich aus: Das Chassis zeigt eindeutige Reaktionen auf Änderungen an den Einstellungen – so wollten mein Freund und Teamkollege Christian Menzel und ich das auch haben!“, kommentierte Marc Hessel. Der angesprochene Kelberger, eigentlich in der Langstrecken-Mesierschaft auf dem Nürburgring vorgesehen, nutzte statt dessen das Wochenende, um im Team 2.0 Automotive als Renningenieur tätig zu werden.
„Und dann war da noch der Harald (Grohs) mit seinem Anruf“, konstatierte Hessel sichtlich vergnügt. „Eine Stunde vor den Demonstrationsfahrten verschiedener Le-Mans-Legenden aus dem Fundus des BMW Museums funkte er mich an, ob ich nicht den R26 fahren wolle. Dabei handelt es sich um den 1998 bei den 24 Stunden an der Sarthe werksseitig eingesetzten McLaren F1 GTR in Langheck-Version, wie er vor 20 Jahren unter anderem auch von JJ Lehto, meinem Titelrivalen in der Formel Ford 1600, pilotiert worden ist – so schloss sich für mich der Kreis, irgendwie bleibt ja doch alles in der (BMW-)Familie!“ Nach dem Turn mit dem Zwölfzylinder-BMW-Motor im Heck, den noch der unvergessene Paul Rosche konstruiert hat, ging es am Samstag mit dem deutlich Großserien-verwandteren M3 weiter. In den gezeiteten Trainings offenbarte sich die Ursache für die bereits seit dem zweiten Lauf 2018 auf dem Lausitzring festgestellten, immens hohen Lenkkräfte: Das Lenkgetriebe fraß fest und musste ausgetauscht werden. Solchermaßen befreit, besann sich Marc Hessel am Renn(sonn)tag einmal mehr seiner alten Stärken: Er war schon in der Formel Ford ein guter Starter. Mit dem 2.0-M3 machte er gleich nach der Freigabe des 40-Minuten-Rennens ein paar Plätze wett und reihte sich an fünfter, sechster Position in den D-Zug an der Spitze des 24-Wagen-feldes ein. Am Ende der Startrunde, vor dem Anbremspunkt zur ersten, lang ausgestreckten Rechtskurve, legten einige BMW-Markenkollegen zum Teil deutlich höhere Topspeeds an den Tag. Mit einem frisch revidierten 2,3-Liter-Gruppe-A-Motor ließ Marc Hessel am Messpunkt exakt 204 km/h notieren. Im Vergleich zu anderen war diese Auslegung als eher konservativ einzuschätzen.
Zudem ergab sich, hervorgerufen durch den Radverlust am STW-Renault Laguna von Alexander Schmidt, eine Safety-Car-Phase. Im Bummelzugtempo umrundete das Feld der Tourenwagen-Klassiker den Kurs – an sich eine völlig normale Situation in einem Rennen. Vor Marc Hessel rangierte jedoch ein Audi A4 STW mit einem 1,7-Liter-Turbomotor, dessen Pilot dreimal hart bis fast zum Stillstand bremste. Der Rückstand auf die Vorausfahrenden wuchs so ohne eigenes Verschulden immer weiter an, und unter gelber Flagge gilt nun einmal ein generelles Überholverbot. Bis zum vorzeitigen Rennabbruch aufgrund der Bergung des havarierten Renault musste sich Marc Hessel wohl oder übel hinter ihm anstellen und mit dem achten Gesamtrang, gleichbedeutend mit Platz vier in der hart umkämpften Klasse 3, zufrieden sein. Er zog dennoch ein versöhnliches Fazit: „Eine tolle Veranstaltung, ein BMW M3, der wirklich prima funktioniert hat, und ein paar Punkte mehr auf dem Meisterschaftskonto – so geht es nun ordentlich gerüstet an den Salzburgring.“ Auf dem Hochgeschwindigkeitskurs im Nesselgraben vor den Toren der österreichischen Mozartstadt werden am 15. und 16. September 2018 Erinnerungen an die Deutsche Tourenwagen-Meisterschaft 1987 wach, als Marc Hessel in einem dramatischen Finale den Titel an Eric van de Poele abtreten musste – jenem Belgier, den er zwei Jahre zuvor im Formel Ford 1600 in Zandvoort noch sicher im Griff gehabt hatte. Dennoch schaffte es van de Poele bis in die Formel 1. Hessel hingegen, der das Zeug dazu in gleichem Maße mitgebracht hätte, wechselte 1988 innerhalb der DTM zu AMG-Mercedes-Benz in den Typ 190E 2.3-16.
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