Dass Titus Dittmann in einem früheren Lebensabschnitt einmal Philosophie-Pauker gewesen ist, schimmert beim 69-Jährigen immer wieder durch. Wenn er sagt: “Suche dir einen Job, der dir Spaß macht, und du wirst nie wieder arbeiten“, muss man darüber erst einmal gründlich nachdenken. Nachdenken, wachrütteln – genau das ist die Mission des gebürtigen Westerwälders, der wie Uwe Alzen aus Kirchen an der Sieg stammt und auf den Namen Eberhard getauft wurde. Weil er jedoch die lieben Verwandten an einen römischen Kaiser erinnerte, hieß er seit seines vierten Lebensjahres nur noch Titus.
Als Student an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster fasste er den Entschluss, den Rufnamen auf dem Standesamt eintragen zu lassen. Von nun an machte er Titus zu seinem Markenzeichen, gründete knapp 100 Unternehmen – und ist heute ein Sinnbild für soziales Engagement im Sport. Rennen fährt er übrigens auch. Für ihn ist das kein Gegensatz – in einer Welt der Egomanie vertritt er konsequent seine ihm ureigene Haltung. Carsten Krome hat die Skater-Legende am Nürburgring erlebt.
Freitag, 8. August 2014, 21.00 Uhr. Die Sonne ist hinter den Hügeln der Eifel längst untergegangen, als es im Fahrerlager des Nürburgrings zu einer dieser Begegnungen kommt, wie sie anscheinend nur im Automobilsport möglich sind. Inmitten des Areals, das die Telekom Deutschland GmbH und die Redaktion werk1 gemeinsam abgesteckt haben, hat sich das Tuttlinger Porsche-Rennsportteam Sommer an einem langen Biertisch versammelt. Es wird gefachsimpelt, über die Aufgaben des nächsten Tages nachgedacht und gemeinsam “geveschpert”, wie es in ortstypischer Mundart heißt. Auf einmal kommt ein Bekannter aus gemeinsamen Jahren im historischen Motorsport des Weges. Er trägt eine Beanie-Mütze, grüßt freundlich – und erhält umgehend eine Einladung, sich niederzulassen. “Ei, Titus, magsch Di net setze?” hebt das Familien-Oberhaupt Manfred Sommer in breitestem Urschwäbisch an. Der Angesprochene hält kurz inne, lächelt, blickt an sich herunter und antwortet: “Ach, wisst Ihr – ich bin vorhin erst angekommen. Jetzt bin ich beim Oldtimer-Grand-Prix, und meine Viper ist kaputt, diesmal so richtig!” Und schon hat Titus Dittmann Platz genommen. Ganz einfach so, er gehört eben dazu. Von der Aura eines Prominenten lässt dieser knorrig wirkende Mittsechziger, der als Schlüsselfigur des Skateboardings in Deutschland gilt, nicht einmal eine Andeutung verspüren. 1977, noch während seiner Referendariatszeit an der Universität im westfälischen Münster, wird er auf die US-amerikanische Trendsportart aufmerksam. Er hält sie für eine vorübergehende Modeerscheinung – von der er selbst aber nicht lassen kann. Die Faszination, all die sozialen Effekte, mit denen der Rollsport verbunden ist, bleiben nicht folgenlos. Nur ein Jahr später, 1978, beantragt seine Ehefrau, Brigitta Dittmann, einen Reisegewerbeschein und eröffnet unter dem Namen Titus einen Skateboard-Handel, da Titus Dittmann als Lehrer keinen Gewerbeschein beantragen darf. Da in Europa noch so gut wie kein Equipment erhältlich ist, fliegt er regelmäßig nach Kalifornien, um Skateboards und sonstige Utensilien zu beschaffen. Titus Rollsport, sein erster kleiner Laden in einem Münsteraner Kellerlokal, ist einer der ersten Skateshops Europas. Zusätzlich zum Einzel- und Versandhandel beginnt die Firma damit, eigene Boards zu entwickeln und zu pressen. Nach vier Jahren als Studienrat an einem Gymnasium in Hamm beendet er 1984 seine Tätigkeit als Lehrer. Er gründet noch im gleichen Jahr mit seiner Ehefrau die erste gemeinsame GmbH – die Titus Sport + Mode Handels GmbH und importiert Skateboards, Rollen, Achsen und Zubehör aus den USA. Als der erste Skate-Boom Ende der achtziger Jahre abebbt, gerät das Unternehmen in eine Krise. Titus Dittmann entscheidet sich 1994 für den Neubeginn. Er beschließt, aus dem Großhandel ein verzweigtes Unternehmens-Netzwerk, das verstärkt auf Einzelhandel, Versand und Franchising setzt, zu formen. Zudem gründet er Medien- und Eventagenturen, baut darüber hinaus Joint Ventures für Logistik- und IT-Systeme auf. 2002 betreibt die Titus AG bundesweit 30 Geschäfte, beschäftigt rund 500 Mitarbeiter und erzielt nach eigenen Angaben 75 Millionen Euro Jahresumsatz. Im Jahr 2002 gerät die Titus AG in eine existentielle Krise. 2007 schafft es Titus Dittmann jedoch, zusammen mit seiner Frau, ohne Berater und Aktionäre die Titus AG zu sanieren. Diese wird in die „Titus Dittmann GmbH“ und anschließend in die „Dittmann GmbH“ umfirmiert. Alle weiteren Einzelfirmen der Titus Unternehmensgruppe werden zur „Titus Mailorder GmbH“ verschmolzen, die später in „titus GmbH“ umbenannt wird. Einige Stationen auf diesem (Lebens-)Weg: 1993 entsteht unter seiner Regie in einer ausgedienten Fabrik in Münster der Skaters Palace, ein Jugendzentrum, in dem unter anderem Skateboard-Kurse und Hip-Hop-Konzerte stattfinden. 2001 übernimmt Titus Dittmann das ehemalige Apollo-Theater, ein Münsteraner Lichtspielhaus, und richtet darin ein Jugend-Lifestyle-Kaufhaus ein. Im selben Jahr wird er vom Manager Magazin und von der Unternehmensberatung Ernst & Young zum „Entrepreneur des Jahres 2001“ in der Sparte „Handel“ gekürt. Später folgen noch zahlreiche Ehrungen wie: Verdienstkreuz des Landes NRW, Laureus Award, Senatorenwürde, den Deutschen Gründerpreis, um nur einige zu nennen. Im Sommer 2009 zieht Dittmann sich aus dem operativen Geschäft zurück und widmet sich seitdem ausschließlich seiner Stiftungsarbeit. Am 18. Dezember 2009 erhält diese in Gestalt der Titus Dittmann Stiftung ein einheitliches Dach. Unter dem Titel “skate-aid” werden nationale sowie internationale humanitäre Kinder- und Jugendprojekte gefördert.
Und bereits im Mai 2010 lässt der einstige Philosophie-Pauker mit einem spektakulären Projekt aufhorchen: der “Green-Gas-Viper” beim 38. ADAC-Zurich-24-Stunden-Rennen Nürburgring. Am Rande der “skate-aid-Night”, zu der Titus einmal jährlich einlädt, entsteht die Grundidee. Im Prinzip geht es darum, die enorme Breitenwirkung des Langstrecken-Klassikers in der Eifel zu nutzen, um eine neue Skateboard-Anlage für Schulkinder in Afghanistan zu verwirklichen. Wie das funktionieren soll, weiß der “Anstifter”, wie sich der Hobby-Rennfahrer im historischen Motorsport auf Ford Mustang selbst tituliert, natürlich sofort. Ihm schwebt ein 1997er Dodge Viper GTS Coupé, das zufällig als Totalschaden in seiner Garage steht, als aufbaufähige Basis vor. Damit wollen er, sein zu diesem Zeitpunkt 27-jähriger Sohn Julius und zwei weitere Mitstreiter beim Rennen zweimal rund um die Uhr mitrollen. Doch welche Botschaft kann ein bulliger Acht-Liter-Sportswagen unters Volk bringen? Titus weiss auch hier auf Anhieb, wo es langgehen soll. Er plant, den 7.990 cm³ großen V10-Viertakt-Ottomotor auf Gasantrieb umzubauen – das grüne Element des kühnen Vorhabens. Den über 220.000 Zuschauern des 24-Stunden-Rennens soll darüber hinaus die Möglichkeit gegeben werden, eine Wette auf den Ami-Schlitten anzugeben – einen Einsatz bis 24 Euro auf den Zeitpunkt der Ausfallstunde, Beträge größer 25 Euro auf die Zielankunft und die erreichte Position. Die Einnahmen sollen als Spende für den humanitären Einsatz in Afghanistan verwendet werden – eine Verknüpfung unterschiedlichster Faktoren, und längst ist nicht klar, ob alles auf Anhieb miteinander harmonieren wird. Doch gerade die fast schon kindliche Naivität, mit der die technische Umsetzung in einem Umfeld, in dem ohne Ingenieure nichts mehr zu gelingen scheint, bringt der grünen Gas-Viper viele Sympathien ein. Diese sind notwendig, um das Spendenkonto zu füllen. Doch so wirkungsvoll das fein gesponnene Kommunikations-Konzept auch greift, so sehr erweist sich die Verwandlung des blauen Unfallwagens in einen Rennwagen als Herausforderung. Die zwei Gasanlagen und die zwei Gastanks, die der Verzicht auf herkömmlichen Ottokraftstoff erforderlich macht, sind sehr schwergewichtig und auf den Zehnzylinder-Motor nicht ohne Weiteres zu adaptieren. Die elektronische Steuerungs-Einheit ist den veränderten Parametern nicht gewachsen. Die Lösung liegt in einem autarken Motormanagement für jede einzelne Zylinderbank, die ein drittes Steuergerät synchronisiert. 420 gasbetriebene PS sind das Ziel, bei 1,6 Tonnen Eigengewicht kein allzu üppiges Leistungsangebot. Doch darum geht es auch nicht. Die “Green-Gas-Viper” soll auf der Nürburgring-Nordschleife keine Rundenrekorde aufstellen, sondern einfach nur im Zug der schnellen FIA-GT3-Sportwagen angemessen mitrollen. Dazu gehört angesichts der 24-Stunden-Distanz natürlich Betriebssicherheit, die in einem VLN-Testrennen auf die Probe gestellt werden könnte. Doch dazu fehlt die Zeit. Das Titus-Team muss die Technik im Vorhinein aussortieren. Ohne die wissenschaftliche Unterstützung eines Autoherstellers. Nachdem der Treibsatz jeweils eine Zündspule pro Zylinder erhalten hat, glückt dies schließlich. Ein Rätsel ist jedoch der exakte Energieverbrauch auf einer Runde. Das 38. ADAC-Zurich-24-Stunden-Rennen Nürburgring muss die Beantwortung dieser spannenden Frage bringen. Bevor es am 15. Mai 2010 um 15.00 Uhr losgeht, wächst der Fahrerkader von zwei auf vier Steuer-Männer im Cockpit an. Rockmusiker Victor Smolski und Sportwagenhändler Dag von Garrel stellen sich in den Dienst der guten Sache. Da kein unbegrenztes Einsatzbudget zur Verfügung steht, müssen Reifen aus fast schon vergessenen Zakspeed-Beständen herhalten. Peter Zakowski, der sich von 1999 an mit dem Freizeitpark-Besitzer Hans-Jürgen Tiemann aus Soltau eine Oreca-Viper GTS-R geteilt hat, trennt sich von 14 Sätzen Jahre zuvor eingelagerter Uralt-Pneus. Das Abenteuer kann beginnen, und anfangs liegt der grün folierte Exot im Fahrplan. Im Verlauf der siebten Rennstunde verunglückt jedoch Julius Dittmann im Streckenbereich “Pflanzgarten”. Er schlägt in die Leitplanken ein, bleibt unverletzt, doch eine Notreparatur ist unumgänglich. Was dann folgt, ist pure Leidenschaft. Bis zur Zieleinfahrt am 16. Mai 2010 um 15.00 Uhr flicken die Grünen aus Münster ihr Renngerät wieder zusammen. Unter dem Jubel des Publikums schaffen sie die erlösende letzte Runde. 5.000 Euro kommen auf diese Weise für das “skate-aid”-Projekt in Afghanistan zusammen.
Von nun an mausern sich Titus und seine CO2-freie Viper zu festen Größen des ADAC-Zurich-24-Stunden-Rennens. Bis zum 21. Juni 2014, einem Samstag. Die fünfte Teilnahme an der Eifel-Hatz wird zum Desaster. Startfahrer Reinhard Schall wird in eine wüst aussehende Kollision verwickelt, einmal mehr liegt ein annähernder Totalschaden vor. Aus der Traum? Nicht für Titus, den Anstifter! Er denkt an einen Neuaufbau, allerdings ohne Zeitdruck, denn: Das Auto ist inzwischen ein Denkmal, weniger ein Zukunftsmodell. Als Titus am 8. August 2014 mit Familie Sommer am Tisch sitzt, wägt er zwischen möglichen Alternativen ab: vielleicht ein Ford Mustang GT, wie ihn Jürgen Alzen in der VLN einsetzt? Fest steht für ihn, dass es ein V8 sein muss. Unbedingt. Einen schicken, stromlinienförmigen, aber auch austauschbaren FIA-GT3-Flachmann mit ein paar “skate-aid”-Aufklebern würde ihm die Welt nicht abkaufen. Für einen wie ihn zählen Glaubwürdigkeit und Unverwechselbarkeit viel mehr als das, was er sich möglicherweise kaufen könnte. Echte Freundschaft zum Beispiel, und die beschert ihm am nächsten Morgen ganz überraschend die Jungfernfahrt im historischen Rennporsche. Auf der Nürburgring-Nordschleife, mit 65 Lenzen. Das Ganze passiert, weil Manfred Sommer seinem Klagelied über die zerdepperte Viper genau zugehört hat. Plötzlich hat er, der alte Fuchs, einen Einfall. Für das Renntaxifahren in der Grünen Hölle tags drauf fehlt noch ein Kutscher, nachdem Axel Plankenhorn abgesagt hat. Die Ex-Le-Mans-Legende aus Spaichingen turnt irgendwo in Südostasien umher – Verpflichtungen im Porsche-Markenpokal. Der gelbe 911 2.4 S, 1973 ausgeliefert und 2005 von den Sommer-Junioren Sebastian und Florian zum Titelgewinn in der Porsche Classic Car Kumho Trophy gesteuert, ist dadurch unbesetzt. Da Titus sich in der Grünen Hölle nun einmal auskennt und heiß aufs Fahren ist, zögert er nicht und sagt zu. Am nächsten Morgen sitzt er in jenem werk1-Porsche, der am 11. Oktober 2013 den Erstverkaufstag des neuen Magazintitels begleitete. Damals, am Jochpass, hoch oben in den Allgäuer Alpen. Der Gastfahrer tritt in der für ihn typischen Art zum Fahr-Dienst an: mit spielerischer Leichtigkeit.
Doch hinter all der – zugegeben – gewinnenden Erscheinung steckt ein hintergründiges Wesen. Den Sommer-Junioren, die nach wie vor die Eigentümer der Porsche-Leihgabe sind, lässt er kurze Zeit später handsignierte Bücher zukommen. Es ist seine Biographie, die Dokumentation seines bisherigen Lebens. Sie trägt die Überschrift: “Brett für die Welt”. Klar – auf das Skateboard als sein Medium wird er für immer festgelegt sein. Er predigt ja auch nichts anderes. Wir haben ihn, den klugen Netzwerker, der die Erfolgreichen, die potenziellen Sponsoren für Menschen ganz am anderen Ende der Welt zu begeistern weiß, ungleich facettenreicher erlebt. Nicht nur, weil er nach all den US-amerikanischen V8-Kisten jetzt auch mal einen Porsche gelenkt hat. Einen alten, notabene. Das Motto seines Lebens müsste eigentlich lauten: “Brett und Spiele”. Er selbst hat es einmal so formuliert: “Suche dir einen Job, der dir Spaß macht, und du wirst nie wieder arbeiten“. Die Botschaft ist eindeutig: Was Freude macht, spielerisch von der Hand geht, ist keine Arbeit im ursächlichen Sinne – doch sie gelingt! Damit hat er Recht, dieser in jeder Hinsicht so erstaunliche Geschäftsmann. Der es schaffte, einen Vornamen zu seinem Markenzeichen zu erheben, den er von Geburt an nicht einmal trug. Ähnlich macht es heute der Rap-Musiker Benjamin Griffey, den sein Vater, ein US-Soldat, einst Casper rief…
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