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Ein Porsche 911 GT3 RS (Generation 991.1) überrascht mit weniger als 20 (!) Kilometern Fahrleistung.
Holz vor der Hütte.
In den verwinkelten Kulissen des Holz- und Palettenwerks Heinrich Lüffe-Baak bei Harsewinkel-Greffen gilt es an einem Sonntag im April, eine Porsche-Preziose mit weniger als 20 Kilometern Laufleistung (!) gemeinsam mit Heitgreß Performance aus Warendorf in Szene zu setzen. Der 911 GT3 RS 4.0 der Modellgeneration 991.1 hat mittelfristig das Potenzial für erfreuliche Wertentwicklungen – auch oder gerade in der 2015 erstmals gesehenen Werks-Präsentationsfarbe “Lavaorange”.
Alles beginnt am 20. Mai 2012: Schon seit sieben Jahren ist das Holz- und Palettenwerk Heinrich Lüffe-Baak bei Harsewinkel-Greffen auch ein Schauplatz exklusiver Porsche-Fotoproduktionen.
Es ist schon nachmittags, als ein VW Caddy mit Recklinghäuser Kennzeichen auf das abgesperrte Betriebsgelände an der Versmolder Straße rollt. Und es ist Sonntag, doch das ist noch nie ein Hindernis gewesen. Mit vielen Protagonisten ergab sich in elfeinhalb Jahren in der Verantwortung für eine Porsche-Monatszeitschrift nur an Sonn- und Feiertagen ein Stelldichein – Zeit, um die Faszination des etwas abgelegenen Holz- und Palettenwerks wirken zu lassen. Ein Porsche-Kollege aus der Nachbarschaft hat den Kontakt zu Tobias Lüffe-Baak, den Nachfahren des Gründervaters Heinrich Lüfte-Baak, hergestellt. Das Objekt der Fotografie: ein „Signal“-grünes, 1995 ausgeliefertes Porsche 911 Carrera 2 Coupé (Generation 993), im Stil des Carrera RS Clubsport M 003 soeben erst neu aufgebaut. Die spätere Reportage wird „Gleichstand? Ein Unentschieden ist ein Sieg“ heißen. Dabei geht es um den – einzigartigen wie erfolgreichen – Ansatz des Göttinger Veredlers Thomas Nater, bei seiner Rekreation dem hochpreisigen Vorbild so nah wie möglich zu kommen. Die Preiseskalation im Frühjahr 2015 steht noch bevor. Die anschließende Normalisierung der Marktpreise ebenso.
Die einzigartige Atmosphäre der Anlagen, ihre Farb- und Schattenspiele fangen die Besucher ein. Es ist ein Ort, der Wärme ausstrahlt. Und wenn Sonnenlicht auf das lagernde Holz trifft, entfaltet sich ein würziger Duft wie in den Bergen. Dennoch kommt es erst am 23. März 2014 zu einer Rückkehr. Einmal angekommen im Holz- und Palettenwerk, bricht Begeisterung sich Bahn. Von nun an jedesmal. Es geht einen großen Verladekran hinauf – bis ganz nach oben, trotz weicher Knie. An den letzten Leitersprossen kurz vor der Plattform blüht an den Schweißstellen Rost durch den blassgrünen Schutzlack, trotzdem geht es weiter bis ganz nach oben – der Aufstieg wird zum Ritual, zur Mutprobe, die mindestens einmal im Jahr zu meistern ist. Wenn man relativ früh morgens mit der Fotografie beginnt und den Verlauf der Sonne bewusst mit einbezieht, drängt es sich auf, den harten Schattenriss des Verladekrans dezentral ins Bildmotiv einzubeziehen – die Perspektiven aus luftiger Höhe sind außergewöhnlich. Aus der Ferne grüßen die Höhenzüge des 158 Kilometer langen Hermannsweges – ein unerwartetes, erhebendes Erlebnis.
Der alte VW Caddy aus Recklinghausen ist inzwischen durch einen 18 Jahre jungen Volkswagen New Beetle im Retro-Look ersetzt worden. Den Umbau hat jener Veredler aus Göttingen umgesetzt, der am 20. Mai 2012 schon Pate hinter dem ersten, „Signal“-grünen Fotoobjekt stand: Thomas Nater. So schließt sich der Kreis. Am 15. April setzt der Porsche 911 GT3 RS 4.0 (Generation 991.1) in „Lavaorange”, im Namen eines Privatiers bereitgestellt durch Heitgreß Performance aus dem nahen Warendorf, den nächsten Glanzpunkt. Der Lokaltermin im Münsterland ist eine Aufforderung, an die Fotolocation schlechthin zurückzukehren. In den verwinkelten Kulissen des Holz- und Palettenwerks Heinrich Lüfte-Baak bei Harsewinkel-Greffen kommt der leuchtkräftige Neulack des Sportwagens mit weniger als 20 (!) Kilometern Fahrleistung besonders gut zur Geltung. Er überstrahlt alles bisher Dagewesene. Da sich das werk1-Markenzeichen weiterentwickeln und die Farbe Orange dabei eine tragende Rolle spielen wird, setzt die Technologie-Ikone aus der Porsche-Denkfabrik in Weissach einen nachhaltigen Impuls. Schnell steht fest: Sie wird die erste werk1-Titelseite der neuen Zeitrechnung zieren.
Porsche 911 GT3 RS 4.0 (Generation 991.1): Am 3. März 2015 feiert der Hochleistungs-Sportwagen für Rundstrecke und Straße auf dem Genfer Automobilsalon Weltpremiere.
Mit dem 911 GT3 RS 4.0 (Generation 991.1) überwindet Porsche vor inzwischen mehr als vier Jahren die Grenze zwischen Sportwagen und Rennfahrzeug endgültig. In ihm steckt das Höchstmaß an Technologie aus dem Motorsport, das zu diesem Zeitpunkt in einem alltagstauglichen Neunelfer mit Straßenzulassung möglich ist. Umfangreiche Modifikationen an Antrieb, Aerodynamik und Leichtbau können die Performance gegenüber dem 911 GT3 nochmals deutlich steigern: Mit einer Rundenbestzeit von sieben Minuten und 20 Sekunden übertrifft der neue Porsche 911 GT3 RS 4.0 auf der Nordschleife des Nürburgrings den historischen Bestwert des Supersportwagens 980 Carrera GT von sieben Minuten und 29 Sekunden. Mit dieser Darbietung qualifiziert sich der Hochleistungs-Sportwagen vom Start weg als neuer Maßstab seiner Klasse. Der Porsche 911 GT3 RS 4.0 feiert seine Weltpremiere auf dem Genfer Autosalon am 3. März 2015.
Know-how aus dem Motorsport ist einmal mehr der Schlüssel für die Spitzen-Performance. Die Antriebskraft des Porsche 911 GT3 RS 4.0: ein Vierliter-Sechszylinder-Saugmotor mit 500 PS (368 kW) und 460 Newtonmetern Drehmoment, kombiniert mit einem speziell entwickelten PDK-Siebengang-Getriebe. Der hubraumgrößte und leistungsstärkste Saugmotor mit Kraftstoff-Direkteinspritzung in der 911-Familie treibt den Hochleistungs-Sportwagen in 3,3 Sekunden von null auf 100 km/h und in 10,9 Sekunden auf 200 km/h. Der Kraftstoffverbrauch liegt im NEFZ bei 12,7 Litern Super Plus auf 100 Kilometern. Funktionen wie das Auskuppeln per „Paddle-Neutral“, mit dem Treten der Kupplung bei einem konventionellen Schaltgetriebe vergleichbar, oder die Limitierung der Geschwindigkeit über die so genannte „Pit-Speed“-Tastenfunktion sind auf den Einsatz im ambitionierten Porsche-Clubsport zugeschnitten. Sie vermitteln einerseits größere fahrdynamische Freiheiten, andererseits auch mehr Unterstützung beim Fahren auf der Rundstrecke.
Der Porsche 911 GT3 RS 4.0 ist ein Musterbeispiel für hochintelligenten Leichtbau. Das Dach besteht erstmals aus Magnesium, Motor- und Kofferraumhaube aus Kohlefaser und zusätzliche Leichtbauteile aus alternativen Werkstoffen. Dadurch bringt das RS-Modell rund zehn Kilogramm weniger auf die Waage als der herkömmliche Porsche 911 GT3. Zudem senkt die leichtgewichtige Dachhaut den Schwerpunkt des Hochleistungs-Sportwagens und verbessert damit auch die überragende Querdynamik. Die Rohbau-Karosserie stammt vom 911 turbo, sie verdeutlicht mit den spezifischen, aerodynamischen Anbauteilen den Status als reinrassige, dem Rennsport nahe Fahrmaschine. Die bis knapp über die Fahrbahn reichende Frontspoiler-Lippe und der freistehende Heckflügel verstärkten den imposanten Eindruck. Eine 30 Zentimeter breite Vertiefung zieht sich mittig über die Fronthaube aus Karbonfaser-verstärktem Kunststoff (CfK) und dem Dach aus Magnesium. Sie zitiert die Einprägung im Kofferraumdeckel beim klassischen Porsche 911 mit luftgekühltem Motor, am 911 GT3 RS kennzeichnet sie die beiden großflächigsten Leichtbauteile.
Ein Kleinod der Hochtechnologie: Innovative Leichtbau-Materialien treffen auf neuzeitliche Lösungen – und aus Styling-Anleihen beim klassischen Porsche 911 mit Gebläse-Luftkühlung.
Ein weiteres Charakteristikum: Die einzigartigen Entlüftungen der vorderen Radhäuser, die wie bei reinrassigen GT-Rennwagen bis in den oberen Bereich der Kotflügel reichen und den Abtrieb an der Vorderachse erhöhen. Das Chassis des Porsche 911 GT3 RS der Generation 991.1: auf höchste Fahrdynamik und Präzision ausgelegt. Hinterachslenkung und Porsche Torque Vectoring Plus mit voll variabler Hinterachs-Quersperre steigern die Agilität und Dynamik, die breitere Spur an Vorder- und Hinterachse führt zu noch größerer Wankstabilität als beim GT3. Zudem verfügt der 911 GT3 RS 4.0 mit den Dimensionen 265/35 ZR 20 vorn sowie 325/30 ZR 21 hinten über die breiteste Serienbereifung aller 911-Modelle. Das Ergebnis: Noch direkteres Einlenkverhalten und noch höhere Kurvengeschwindigkeiten. Die Innenausstattung des 911 GT3 RS 4.0 mit Elementen in Alcantara basiert auf dem 911 GT3. Neu sind vor allem die exklusiven Vollschalensitze, die auf den Vollkarbon-Schalen des 918 Spyder basieren. Zur Serienausstattung zählen weiterhin das Clubsport-Ausstattungspaket mit geschraubtem Überrollschutz hinter den Vordersitzen, der Vorrüstung für den Batterie-Hauptschalter sowie beigelegtem Sechspunkt-Gurt für die Fahrerseite und dem Feuerlöscher mit Halterung.
Zum optional erhältlichen „Sport Chrono“-Paket gehört neben den integrierten Stoppuhren die „Porsche Track Precision“-App für das Smartphone. Mit dieser App können beispielsweise die Rundenzeiten auf der Rennstrecke automatisch über GPS gestoppt und Fahrdaten wie Geschwindigkeit, Querbeschleunigung, Brems- und Beschleunigungsverhalten auf dem Smartphone aufgezeichnet, verwaltet sowie mit anderen Fahrern geteilt und verglichen werden. Der Porsche 911 GT3 RS 4.0 ist ab März 2015 bestellbar. Der Hochleistungs-Sportwagen geht schon zwei Monate später, ab Mai 2015, auf dem deutschen Markt an den Start. Der Grundpreis in Deutschland beträgt 181.690 Euro inklusive Mehrwertsteuer und länderspezifischer Ausstattung. Die ersten Pressefotos und die offizielle Preisliste zeigen die Neuerscheinung in der Außenfarbe „Lavaorange”. Selbst Modellautos im neuen, intensiven Farbton erreichen spektakuläre Höchstpreise unter Kennern. Das wiederum beflügelt die Phantasie so mancher Neuwagen-Besteller. Einer belässt es bei weniger als 20 Kilometern Laufleistung und lagert das Stand- und Anschauungsobjekt professionell ein – ein Novum, das zuvor allenfalls mit dem 911 R praktiziert worden war.
Geht die Rechnung auf? Natürlich ist das eine rein spekulative Frage. Kleinserien-Porsche haben im Laufe der Zeit ihren Neuwagen-Wert meist übertroffen. Auch beim Porsche 911 GT3 RS 4.0 könnte sich die Geschichte wiederholen, trotz unerwartet hoher Produktionszahl. Fahrzeuge ohne einen dokumentierten Rundstrecken-Einsatz im Clubsport oder auf der Nürburgring-Nordschleife dürften dereinst zu den absoluten Ausnahmen zählen. 2016 recherchiert die werk1-Redaktion, dass vereinzelte Porsche 911 GT3 RS der Generation 996 nicht nur hohe sechsstellige Liebhaberpreise erzielen, sondern mit blauem Dekor sogar höhere Preise erlösen als Exemplare mit rotem. Hintergrund: Der weiß-blaue Look ist in geringfügig kleinerer Stückzahl ausgeliefert worden. Es kommt auf Feinheiten wie diese an im hochsensiblen Spektrum der Sammler und Investoren in Sachwerte. Dieser Umstand dürfte der holden Unschuld mit weniger als 20 Kilometern Laufleistung auf dem Digital-Tachometer zugute kommen. Zum Fototermin im Holz- und Palettenwerk Heinrich Lüffe-Baak bei Harsewinkel-Greffen wird sie auf dem offenen Anhänger transportiert. Die strikte Auflage des Eigentümers: Kein weiterer Kilometer soll hinzukommen, kein Sägemehl von den wuchtigen Michelin-Pneus aufgesammelt werden.
Holz vor der Hütte, oder: Wer hat, der hat. Der Porsche 911 GT3 RS (Generation 991.1, 181.690 Euro) ist vor allem eins: eine Ode an Schönheit und Kraft, eine Skulptur der Rennsport-Wissenschaft.
415 PS, 3.600 ccm, maximal 310 km/h: Mit diesen Werten überrascht der Porsche 911 GT3 beim Genfer Automobilsalon 2006. Der gleichzeitig neu vorgestellte Porsche 911 turbo ist keinen Deut schneller. Der eigentliche Leistungsträger erreicht ebenfalls 310 km/h, trotz zusätzlicher 65 PS. Seit 1998 konzentriert sich die Motorsport-Intelligenz bei Porsche auf Saugmotoren. Sie werden immer effizienter, dynamischer – besser. Die meisten Entwicklungen bewähren sich zuerst in den hauseigenen Markenpokalen. Anschließend fließen sie in die Serienfertigung mit ein. Am 29. Mai 2006, ein Vierteljahr nach Genf, erfolgt ein weiterer Schritt. Der GT3 RS krönt das GT3-Konzept. Die konzeptionellen Eckdaten: kein PS, kein Kubikzentimeter, kein Stundenkilometer mehr. Statt dessen präsentiert Porsche einen veritablen Rubenskörper. Die gegenüber üblichen GT3 um 44 Millimeter breitere Karosserie stiftet der Carrera 4. An der Front ragt die Spoilerlippe etwas weiter nach vorn, um einen Ausgleich zu schaffen für einen Heckflügel. Der steht frei auf markant geformten Stützen. Die Heckscheibe aus Polykarbonat spart Gewicht ein. Demselben Zweck dienen die Kofferraumhaube sowie Türen aus Leichtmetall. Motordeckel und Heckflügelblatt bestehen aus Karbon. Die Mixtur edelster Materialien zeigt Wirkung – und die Waage 20 Kilogramm weniger an als beim GT3.
Wozu diese Konturenschärfe? Auf aktive Rennfahrer muss der GT3 RS schon damals nicht abzielen. Längst besteht Wahlfreiheit zwischen Cup-Carrera und dem RSR. Ein Nischenprodukt? Das trifft wohl eher zu. Gute Porsche-Kunden lieben Trackdays auf bekannten Rennstrecken. Das ist Fakt. Die Schlussfrage lautet: Was an diesen dreizehn Jahre alten Feststellungen hat sich sich seitdem verändert? Die Antwort: nichts, eindeutig nichts! Und so hat der jährlich anstehende Arbeitsbesuch im Holz- und Palettenwerk Lüffe-Baak am 15. April auch etwas Zeitgeschichtliches – das Schöne bleibt, denn es ist unvergänglich.
Verantwortlich für Inhalt und Fotografie: Carsten Krome Netzwerkeins
Playlist: 911 GT3 RS, cover star der werk1-Sommerausgabe № 001 | 2019 – pre release reports, post release reports, blogstories.