Skulpturen lassen sich aus allen erdenklichen Materialien erschaffen. Das weiß auch Ekkehard Zimmermann, ein Antonio Gaudi der vornehmlich gläsernen Fasern. Seine Staffelei ist seit Jahrzehnten schon ein kleines, hölzernes Brettchen, auf dem er seine Laminate anrührt wie ein Baumeister seinen Zement. Das jüngste skulpturale Werk des Designers kann als eine Hommage an den Carrera RS 3.0 von Porsche gesehen werden, der 1974 in einer Auflage von nur 109 Exemplaren auf den Markt kam und den Status eines Schönheitsideals erlangte. Zimmermann machte sich eine altbekannte Weisheit zur Devise: Das Bessere ist des Guten Feind. Und so vollendete er eine 1976er Modellbau-Karosserie in grandioser Perfektion.
Epilog. Begegnung am Rande einer Jubiläumsfeier.
‘Schreib’ doch nicht immer über mich, ich sei ein Kunststoff-Designer – Designer, einfach Designer, das reicht doch auch!’ Der Mann, der das im Februar 2012 einfordert, steht in einer Rennwerkstatt in Ossendorf, einem Stadtteil von Köln. Hinter ihm steht, wie absichtlich geparkt, eine Rennlegende. Zum Vaillant-grünen Kremer-Porsche 935 K2, mit dem der Elsässer Bob Wollek gleich zum Einstand am 1. Mai 1977 ein Rennen gewann, aber nicht die ganze Rennsportmeisterschaft, hegt Zimmermann eine besondere Beziehung. Er hat die Karosserie im Auftrag von Porsche Kremer Racing seinerzeit erschaffen, und in den kürzlich erst bezogenen Werkstatträumen steht er nun auch. Man feiert gerade das 50-jährige Bestehen, 1962 ist der Traditions-Rennstall auf Kurs gegangen. 1976 nehmen Erwin und Manfred Kremer geschäftliche Beziehungen zu Ekkehard Zimmermann auf. Erste Module für den Vorläufer des Vaillant-Kremer-Porsche 935 K2, der Logik folgend als 935 K1 bezeichnet, entstehen. Nur drei Jahre später, 1979, schließt sich mit dem Kremer-Porsche 935 K3 der erfolgreichste Produktions-Rennwagen seiner Zeit an, in Fachkreisen wird er als ‘Wunderauto’ gepriesen. Damit triumphiert Klaus Ludwig im Schulterschluss mit den US-Amerikanern Don und Whittington bei den 24 Stunden von Le Mans 1979. 1981 erfolgt der nächste Paukenschlag mit dem Kremer-935 K4, 1982 schließlich ein weiteres Kremer-Großprojekt von geradezu epochaler Bedeutung: der aus dem Porsche 936 geborene Porsche CK5 mit einer Karosserie, die mindestens zwei Dekaden zu früh ins Rennen geht. Stefan Bellof aus Gießen nimmt mit dieser Gruppe-C-Flunder als Juniorpartner von Rolf Stommelen 1982 erstmals an einem Endurance-Weltmeisterschaftslauf teil – in Spa-Francorchamps, wo er drei Jahre später sein viel zu junges Leben lässt. Es ist eine ungebremste, eine wilde Ära voller Gefahren, aus der Ekkehard Zimmermann 1983 aussteigt. Fortan widmet er sich Nachhaltigerem: Straßenfahrzeugen mit er ihm eigenen Formensprache. Sein Credo: Die Räder müssen aus allen Blickwinkeln zu hundert Prozent abgedeckt sein, und die Radien der Kotflügel müssen wie von Künstlerhand gezogen werden: schwungvoll, dynamisch, vielleicht sogar ein bisschen erotisch. Zimmermann, im Sternzeichen der Jungfrau zur Welt gekommen und von ausgeprägter Sinnlichkeit, lebt diesen Anspruch mit aller Konsequenz.
Umschnitt: 2. Mai 2017, in einem Modellbau-Atelier in Immekeppel, einem Stadtteil von Overath bei Köln. Was Kevelaer ist für die Katholiken oder La Sagrada Familia in Barcelona für multisensuell Erleuchtete, das ist dieses bessere Straßendorf für Automobilsten. Es ist bekannt, dass die Fassade von dp Motorsport geradezu wie ein Sperrriegel über dem östlichen Ortsausgang steht – das Reich der Zimmermänner, Vater Ekkehard und Sohn Patrick praktizieren hier draußen. Im geheimer Mission schleifen sie seit Monaten an ihrer Reinkarnation des Kremer-Porsche 935 K4, der radikalsten Variante des Porsche Nummer 911. Abermals handelt es sich um einen Kremer-Auftrag, lediglich die Namen der Akteure haben gewechselt. Seit August 2010 steht der Vaillant-Nachfahre Eberhard Baunach am Ruder. Der rennbegeisterte Bankbetriebswirt hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Legende lebendig zu erhalten. Dazu gehört eben auch ein Replikat des K4, von dem ursprünglich ganze zwei Exemplare entstanden sind. Die originalen Formen ließen Erwin und Manfred Kremer nach dem Auslaufen der Gruppe 5 irgendwann entsorgen – sehr zum Verdruss der heutigen Akteure, die sich Stück für Stück durch alte Fotografien arbeiten und das kleinste Detail dem Vorbild entsprechend noch einmal nachbilden müssen. Mit derselben Detailtiefe nahm sich Ekkehard Zimmermann seiner alten Modellbau-Karosserie an, die auf gelben Fuchs-Felgen seit Mitte der neunziger Jahre in seiner Werkhalle stand. Eigentlich hatte aus ihr eine Hommage an den Porsche Carrera RS 3.0 entstehen sollen, doch der anfangs interessierte Kunde sprang plötzlich ab. Da auch noch andere Arbeitsaufträge zu erledigen waren, diente das 1976er Gehäuse mit der Fahrgestellnummer 911 730 0249 erst einmal als Matritze für den laufenden Formenbau. Dabei hatte das Teil durchaus eine Geschichte vorzuweisen – und sogar einen alten ONS-Wagenpass aufgrund eines Vorlebens im organisierten Slalomsport. Der legendäre, 1996 verstorbene Wolfgang Rupp kaufte das Chassis einem seiner Rennbetreuungs-Kunden, Michael Ostwald aus Berlin, ab und vermittelte es an Ekkehard Zimmermann weiter. Der dachte sich nichts weiter dabei, schnappte sich seine hölzerne Farbpalette mit dem intensiv duftenden Laminat, formte, modellierte, schliff und verwarf wieder. Eines Tages einigte er sich mit dem Rennfahrer und Porsche-Teambesitzer Günther Chrzanowski aus Langenfeld auf ein Tauschgeschäft. Chrzanowski, in der ersten Hälfte der neunziger Jahre bei den 24-Stunden-Rennen von Daytona und Sebring in den Vereinigten Staaten erfolgreich, suchte einen 964er-Serienmotor, Zimmermann hatte zufällig einen – und im Gegenzug bot er einen klassischen Saugmotor mit mechanischer Sechsstempel-Pumpe, aufgebohrt auf 3,5 Liter Hubraum, an. Der Deal kam zustande, und so gelangte Zimmermann in den Besitz eines anständigen Saugers. Dass dieser hervorragend zu seiner Modellbau-Karosserie passte, ging ihm erst sehr viel später auf.
Magische Formen – unter diesem Motto stand Ende 2011 schon einmal ein ähnliches Leichtbau-Projekt in der Gewichtsklasse minus 900 Kilogramm, das Ekkehard Zimmermann und Sohn Patrick gemeinsam realisierten. Die Konturen des mattweiß lackierten Coupés entsprachen weitgehend jenen des Porsche Carrera RS 3.0, das Fahrzeug war insgesamt von elektrisierender Schönheit. Nach der Fertigstellung besann sich der Senior – endlich – seiner letzten im Betrieb befindlichen Modellbau-Karosserie, seines Saugmotors mit der mechanischen Einspritzung und irgendwas um die 360 PS, seines ONS-Wagenpasses, seiner Vorgeschichte. In ihm reifte ein Entschluss: Aus all diesen Zutaten sollte das endgültige Meisterwerk erwachsen, die Ultima Ratio am Schlusspunkt seines Lebenswerks. Und wieder tat er genau das, was er seit den frühesten Siebzigern aus Leidenschaft tut: formen, modellieren, schleifen und wieder verwerfen. Ihm ging es um allerfeinste Radien, um vollständig abgedeckte Räder – um Schönheit. Eigentlich hätte der Motor zur gleichen Zeit auf die mechanische Einspritzpumpe abgestimmt werden sollen, doch es musste ein neuer Raumnocken berechnet und fabriziert werden, das ließ den Zeitplan aus den Fugen geraten. Zum guten Schluss vergingen mehr als fünf Jahre, ehe Vater und Sohn vereinzelte Bilder in Umlauf brachten. Auf den ersten Blick ist einmal mehr der Carrera RS 3.0 zitiert worden. Doch die Kotflügel sind nicht nur auf jeder Seite einen Zentimeter breiter, auch die Konturen unterscheiden sich maßgeblich. So folgen die Kotflügelkanten dem negativen Sturz der Räder, viele Trennspalten sind noch einmal überarbeitet worden, im Detail sind Anleihen beim Porsche 959 zu erkennen. Wie aus einem Guss zeigt sich die Dachpartie, die nicht allein ihrer Regenrinnen entledigt worden ist. Die Kunststoff-Seitenscheiben und das Heckfenster sind bündig verklebt. 1989 führte Zimmermann diese Bauweise über seinen Porsche 935 dp II ein, um die Aerodynamik zu verbessern. Durch die überbreiten Kotflügel sind auch die umgeschweißten Fuchs-Schmiedefelgen üppig ausgefallen. Vorn sind sie neun Zoll breit, an der Hinterachse sogar dreizehn Zoll. Der Antrieb erfolgt über ein modifiziertes Fünfgang-Schaltgetriebe des Typs 915. Die Schaltwellen entstammen dem Porsche 962 Gruppe C, was in der Betrachtung des ‘Spiritus Rector’ einen Vorteil mit sich bringt: ‘Man kann die Gänge einfach reinklatschen lassen!’ Somit ist der Kraftschluss optimal, und in Kombination mit dem sehr bissig ansprechenden Rennmotor kommt Fahrfreude auf. Wenn die mechanische Benzin-Einspritzung mit dem RSR-Aggregat erst einmal richtig harmoniert, sollte der Effekt noch größer sein.
Auch wenn die äußere Form definiert ist und keiner weiteren Steigerung bedarf, halten die Einstell- und Abstimmarbeiten unverändert an. Angesichts der fünf Projektjahre, – oder waren es doch sechs? – die zwischenzeitlich ins Land gegangen sind, nehmen es Vater und Sohn Zimmermann als gegeben hin. Eine erste Kaufofferte vermittelte ihnen eine vage Vorstellung vom Stellenwert ihres Einzelstücks. ‘Da lag auf einmal ein unmoralisch gutes Angebot auf dem Tisch’, erzählt Ekkehard Zimmermann. ‘Ich musste mich erst einmal setzen, um Luft zu holen. Nach einiger Bedenkzeit wurde mir bewusst, dass es besser sein würde, erst einmal abzuwarten und gar nichts zu unternehmen’. Die Konsequenz: ‘Nun stellen wir unseren ‘dpa Red Evolution’ erst einmal perfekt ein, justieren den Kraftstoffverbrauch ganz genau, erst dann sehen wir weiter’. Es ist denkbar, dass die rote Schönheit als letztes Straßenfahrzeug im 44 Jahre währenden Wirken des Antonio Gaudi der gläsernen Fasern in die Geschichte eingehen wird. Halt, Moment mal! Wer war dieser Gaudi eigentlich? Romantiker wissen es natürlich längst: Der Baumeister war die schöpferische Kraft hinter der spanischen Kathedrale ‘La Sagrada Familia’ in Barcelona. Die Ähnlichkeit mit ‘dem Ecki’ ist nicht zu übersehen, und kreativ sind beide auf ihre spezielle Art. Dass umtriebige Geister wie sie nicht einfach aufhören können, liegt auf der Hand. Und so schreitet der letzte Schliff an der Neufassung des Kremer-Porsche 935 K4 anno 2017 weiter voran – designierter Endpunkt einer 1973 eingeleiteten Unternehmergeschichte. Sohn Patrick vertritt die nachrückende Generation, er wirkte auch an beiden Großbaustellen aktiv mit, bekennt jedoch: ‘Das sind Vaters Herzensangelegenheiten’ – und lässt ihm den Vortritt. Er weiß, dass es nicht nur darum geht, schöne Formen sprechen zu lassen. Vielmehr geht es um Größeres: Es gilt, ein letztes Denkmal zu setzen. Oder waren es zwei? Das Ende einer großen Ära kommt unweigerlich in Sicht. Bei aller Leidenschaft für Feuerwerke in Feuerrot oder demnächst vielleicht sogar im Jägermeister-Orange des K4: Wehmut ist im Spiel, geht es um den ‘dp11 Red Evolution’. Es ist ein außergewöhnlicher Porsche von großer historischer Tragweite.
words: carsten krome netzwerkeins
images: jordi miranda für dp Motorsport
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