Rückblende in die Rennsport-Saison 2002: Vor annähernd 18 Jahren portraitierte Carsten Krome den damaligen DTM-Titelgewinner Laurent Aiello aus Frankreich. Der Journalist aus Moers am Niederrhein zeichnete auch den durchaus wechselvollen Weg zum triumphalen Sieg mit dem Abt-Audi TT-R nach. 

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Fahrer des Jahres 2002: Laurent Aiello sicherte sich den DTM-Triumph in Zandvoort vorzeitig. Original-Archivbild: DUNLOP Motorsport.

Voll und ganz auf seinen Job in Deutschland hat er sich konzentriert, die geliebten 24 Stunden von Le Mans sausen lassen und zehn gegnerische Mercedes bezwungen. Laurent Aiello, 33 Jahre jung, Franzose, Vater von zwei Kindern, Audi-Werkspilot, ist neuer DTM-Champ. Und das bereits seit dem vorletzten Lauf in Zandvoort. Erste spürbare Auswirkung: keine. Der Mann mit der Jockey-Figur scheint Mensch bleiben zu wollen. Nach wie vor pflegt er den Kontakt zum ganz normalen Rennvolk.

Wer in Le Mans nach 24 Rennstunden vorne gelegen hat, kehrt geadelt zurück in sein bisheriges Leben. Manche Rennfahrerseelen jedoch weicht der Sieg an der Sarthe auf. Verklärt bevorzugen es die Betroffenen, höchstens noch bei besonderen Anlässen aufzutreten. Gegen ein bekömmliches Salär, versteht sich. Anderen hingegen kann der Mount Everest des Langstreckensports den Biss nicht nehmen. Laurent Aiello zum Beispiel. Zwölf Monate nach dem Erfolg mit Porsches Werksmannschaft kam er im Juni 1999 wie selbstverständlich zurück. Mit einer Neukonstruktion, von der naturgemäß keine Sensation zu erwarten war. Noch nicht – Aiello hatte sich für ein Nullserien-Modell, den Audi R8R, verpflichten lassen.

Sicher – Werke aus Fernost hätten ihm vielleicht mehr Geld geboten. Doch das steckten sich andere in die Tasche. Wandergesellen, die seitdem auf den nächsten Anruf warten. Laurent Aiello hingegen verfolgte andere, längerfristige Ziele. Ihm war die Bindung an einen europäischen Automobilkonzern wichtig. Es wurmte ihn scheinbar nicht einmal, dass ein anderer R8R aus Ingolstadt das Ziel vor ihm sah. Aiello selbst erreichte den undankbaren vierten Rang. Die folgenden zwei Versuche bescherten ihm zwar den Umstieg in den stark modifizierten R8, leider aber nur zweite Plätze hinter den Teamkollegen Frank Biela, Tom Kristensen und Emanuele Pirro. 2002 fehlte der Einheimische ganz. Aber nicht unentschuldigt – es galt, in Deutschland die Früchte zu ernten. Bereits zwei Jahre zuvor war der ehemalige STW-Meister mit Abt Sportsline in die neu belebte DTM eingestiegen – und hatte sich erst einmal schwergetan.

Gegen die Werkswagen von Mercedes-Benz und Opel hatte der privat finanzierte Konter aus dem Allgäu kompakt und witzig gewirkt. Das Blatt wendete sich, als Abts Frontmann seinen Intimus und Renningenieur Ludovic Lacroix durchsetzte. Das dynamische Duo hatte 1997 mit Peugeot in Deutschland und 1999 mit Nissan auf der britischen Insel beeindruckt. In Oschersleben kam es zum lange Zeit geforderten Wiedersehen. Lacroix wirbelte in und vor der Box, schnippte bei jeder Gelegenheit virtous mit den Fingern und brachte den Rennen fahrenden Freund auf Kurs. Die Entwicklungshilfe strahlte auf das gesamte Team ab. 2001 fuhren die Gelben erstmals an der Spitze mit, und auch das inzwischen engagierte Nachwuchs-Doppel Mattias Ekström und Martin Tomczyk führte sich blendend ein. Das Resultat: Abts erstarkte TT-R zogen an Opel vorbei. Sie etablierten sich als zweite DTM-Kraft hinter Mercedes-Benz.

Was fehlte, war der krönende Griff nach dem Titelgewinn. Gegen zehn Stuttgarter Sterne und Kaliber wie Bernd Schneider, Uwe Alzen oder Jean Alesi. Herausforderer Aiello warf alles in die Waagschale, verzichtete sogar auf die Teilnahme in Le Mans. Voll und ganz dem Unternehmen DTM wollte er sich widmen, durch unablässige Tests zur endgültigen Grandesse gelangen. Der Plan ging auf, gleich beim Auftakttermin in Hockenheim. Aiellos Audi mit der Startnummer drei reüssierte. Der Steuer-Mann im Cockpit blieb kühl: ”Ich will um die Meisterschaft kämpfen und habe heute den ersten Schritt dafür getan. Wir werden uns nicht ausruhen und ab morgen für das nächste Rennen arbeiten.“ Das Erstaunliche: Die befürchtete Benz-Revanche blieb kraftlos – nach sieben Punktrunden lag eine Titelentscheidung pro Audi in der Luft! Mercedes-Sportchef Norbert Haug befahl seine Chauffeure in die Trainerkabine – und beschenkte die Szene in der fernen Steiermark mit dem spannendsten Tourenwagen-Scharmützel aller Zeiten.

Nach der Partie auf Österreichs A1-Ring lautete die Parole: Matchball abgewehrt, auf ein Neues in Zandvoort! Doch der holländische Dünenkurs hielt zunächst Unpässliches bereit. Sportkommissare entdeckten in Aiellos Audi regelwidriges Benzin. Ein harmloses Vergehen: Die gefundenen Essenzen stammten von Proberunden auf dem Eurospeedway Lausitz. Man hatte schlicht vergessen, den dort getankten Sprit restlos abzutanken. Das Strafmaß: keine Teilnahme am Qualifikations-Sprint, sondern lediglich am Hauptrennen. Aus der hintersten Reihe. Laurent Aiello bolzte wie entfesselt los, taktierte klug mit dem Timing des Pflicht-Boxenstopps und kam bis auf Position sechs nach vorn. Damit war er der Chef im Ring vor Bernd Schneider, dem dreimaligen Klassenprimus. Aiello hatte sein Ziel erreicht, mit überschaubarem Aufwand den Giganten bezwungen.

Und was machte der Glückliche sieben Tage später in Hockenheim? Er mischte sich unter das normale Rennvolk. Samstagabends, im überfüllten Partyzelt einer Juniorenformel. Fest an seiner Seite: Gattin Géraldine und Ludovic Lacroix, der Tempomacher. Still, fast ein wenig schüchtern beobachteten die drei das bunte Treiben um sie herum. Vom Glamour, den Rosbergs Filius Nico nebenan versprühte, keine Spur. Wahre Größe, das hat ihr Exempel gelehrt, offenbart nicht immer der Erfolg an sich. Sondern oft auch die Stunde danach.

Verantwortlich für den Inhalt: Carsten Krome Netzwerkeins

Original-Archivbilder: DUNLOP Motorsport