werk1 chaud couture | 911 Meisterwerke

Porsche 911 Carrera 2 (Typ 964, Modelljahr 1990) APC Lightweight

Ich will zurück!

Ein “Irisch-“grünes Bekenntnis zum konventionellen, leichtgewichtigen Porsche 911 mit Gebläse-Luftkühlung.

1984 erschüttert ein Schrei die bundesdeutschen Charts. “Ich will raus!” schluchzt der Kölner Sänger “Purple” Schulz, der am 25. September 1956 als Rüdiger Schulz zur Welt kommt. Der Song bricht mit einem Tabu – und wird 1985 als erfolgreichste Single in deutscher Sprache mit der Goldenen Europa ausgezeichnet. Heute noch elektrisiert der Titel “Sehnsucht” die Massen, ohne Corona wären die Konzerte des 64-jährigen Musikers allesamt ausverkauft. Dazu passt ein Ausruf, den ein Promovierter an einen Göttinger Porsche-Couturier richtete: “Ich will zurück!” Was es damit auf sich hat, fand mit Carsten Krome ein (damals jugendlicher) Reiter auf der Neuen Deutschen Welle heraus.

Ja, es stimmt: Die Ingenieurskunst unserer Zeit hat nahezu perfekte Automobile erschaffen, die so ziemlich alles können. Das kann man toll finden, ganz großartig sogar. Oder man kann irgendwann zum inneren Gegenschwung ansetzen und sich wünschen, alles sei noch so herrlich unvollkommen wie vor drei Jahrzehnten etwa, als es eben nicht in jedem verträumten Bergdorf ein voll vernetztes Biohotel mit einem Interieur aus Mondschein-gefällten Hölzern gab. Ja, vielleicht ist dieser Betrachtungsansatz manchen zu intellektuell, während andere das hohe Lied an den technischen Fortschritt nicht mehr bedingungslos anstimmen wollen. Verstehen kann man beide Standpunkte, gerade in der Porsche-Welt. Denn da dreht sich bei aller Begeisterung für das technisch Machbare alles um eine einmalige Form, eine Linienführung, eine Philosophie, die natürlich nicht neu ist. Und so ist es nachzuvollziehen, dass sich vor allem Kopfmenschen in eine Zeit zurückversetzt sehen möchten, die nicht “smart” war, in der noch ein Schlüssel zum Aufschließen vonnöten war, eine Kurbel zum Öffnen des Fensters und ein halbwegs austrainierter Wadenmuskel zum Betätigen der Bremse. “Ich will zurück!” ist das Credo immer mehr Kopfmenschen, und bei Couturiers wie Thomas Nater finden sie Gehör.

“Ich will zurück!” Eben das forderte ein Promovierter aus dem Großraum Heidelberg, nachdem sein bis dato nur mäßig genutztes Porsche 911 Cabriolet der Generation 964 abgängig war. Bei Heiner Botz im nahen Ubstadt-Weiher hatte er sich zusätzlich einen 911 targa des Modelljahrgangs 1974 zugelegt und den Grad an Ursprünglichkeit für sich wiederentdeckt, der im Zeitalter der elektronischen Fahrhilfen schon fast in Vergessenheit geraten war. Ob es möglich sein würde, Leergewicht, Urtümlichkeit … und Ästhetik auf die Postmoderne anzuwenden – den Typ 964? Wer sich mit der Rennsport-Historie kurz vor der Einführung des RSR 3.8 Coupés 1993 beschäftigt, der weiß auch um die Antwort. Da gab es schmal gehaltene, hocheffiziente 964 Carrera 2 im Langstrecken-Trimm, die konnten zumindest mithalten – auch auf der Waage. Bei den Konzept- und Planungsgesprächen mit Thomas Nater stand bald eine Zahl im Raum, eine Gewichtsangabe: 1.150 Kilogramm. Die Gegenfrage lautete: Was kann oder darf weggelassen werden – die Klimaanlage, die Servolenkung, die Fensterheber, der Unterbodenschutz, … die Regenrinnen? Von vornherein stand fest, dass ein alter Trick aus dem Renngeschäft nicht zur Anwendung kommen sollte: Ersatz von Blechteilen durch solche aus Kunststoff. “Zu meinen Alleinstellungsmerkmalen zählt nun einmal, dass ich so wenig Plastik wie irgendwie möglich verarbeite – ich baue Blechautos und sonst nichts”, will der Göttinger festgehalten wissen. Ein 1.150 Kilogramm leichtes Blechmodell also, das Schönheit und Dynamik miteinander verbindet – nach dem zuletzt dokumentierten 964 4 x 4 Speedster im Juni 2020 einmal mehr eine Aufgabe, die nur mit einem Höchstmaß an Erfahrung zu meistern sein würde.

Die Ausgangsbasis: ein handgeschalteter, am 13. Februar 1990 erstzugelassener 964 Carrera 2 mit H-Zulassung und Schiebedach. “Wir haben das Serienfahrzeug besorgt”, beschreibt Thomas Nater das Vorgehen, “unsere Kunden müssen sich um nichts mehr kümmern – das erledigen wir.” Die Bearbeitung der rostfreien Florida-Karosserie ist in den technischen Daten ausführlich beschrieben, dem soll an dieser Stelle nicht vorgegriffen werden. Nur so viel: Die Dachhaut ist ausgetauscht worden, um auf eine Schiebedach-Kassette verzichten zu können, die Regenrinnen sind entfallen, der Altlack ist materialschonend und durch das gewünschte “Irischgrün”, einem historischen Porsche-Originalfarbton aus der zweiten Hälfte der sechziger Jahre, ersetzt worden. Sowohl die Unterseite der Bugschürze als auch die Verlängerungen der Seitenschweller-Verkleidungen zum Wagenboden hin sind im “Irischgrün” durchlackiert worden. Der Effekt: eine optische Tieferlegung, zu der das bewährte KW-Gewinde-Sportfahrwerk “Variante 1” in Verbindung mit 18-Zoll-Rädern von Fuchs im Retro-Design gleichsam beiträgt. Das schwarz-silberne Wechselspiel unterstreicht die fünf herausgeputzten Felgenarme – oder Flügel, wenn man so will –, außerdem kommen die roten Leichtmetall-Festsättel der turbo-Bremsanlage besonders wirkungsvoll zur Geltung. Nicht zu sehen ist die Alpin-kompatibel kurze Übersetzung des Fünfgang-Schaltgetriebes der Kategorie G50: Mehr als 260 km/h sind nicht gewollt – schon wieder einer, der sich fragt, welche Relevanz denn eigentlich die Angabe der Höchstgeschwindigkeit hat. Mögliches Motto: Ja, was ist denn schon Vmax?

Dabei verwirklicht der Sechszylinder-Boxer mit Gebläse-Luftkühlung ein veritables Hochdrehzahl-Konzept, zu dem der Verzicht auf die beliebte Hubraum-Erweiterung auf 3,8 Liter gehört. Thomas Nater riet statt dessen zu Mahle-Kolben und Zylindern unter Beibehaltung der bisherigen 3.600 ccm sowie zu einem Satz Nockenwellen aus dem Hause Dr. Schrick. Deren Öffnungswinkel beträgt 296 Grad an der Einlassseite – ein Wert, der die Herzen vieler Sportfahrer höher schlagen lässt. In der Tat bringt es des revidierte und auf dem Prüfstand von A&A Automobiltechnik (Stephan Aweh) abgestimmte Ensemble auf 311 PS, das maximale Drehmoment beträgt 362 Newtonmeter. Sehr viel mehr Porsche braucht es nicht, um Freude an forcierter (Fort-) Bewegung zu erleben. Jedenfalls ist der gegenwärtige Eigner der Nater-Kreation Nummer – ja, wieviele sind es denn nun eigentlich? – in den ersten 14 Tagen nach Inbetriebnahme gleich mehrere tausend Kilometer damit unterwegs gewesen.

Das 36 Jahre alte Lied von der Sehnsucht hat der Purist dabei nicht gehört, das steht schon einmal fest. Denn in seinem Inneren hält der Neunelfer ein hübsches Detail bereit: Auf die Musikanlage ist verzichtet worden, sie fehlt vollständig. Nichts soll vom Essenziellen ablenken, auch wenn zumindest in der Theorie die vage Möglichkeit eines Bluetooth-Kopfhörers und dessen Koppelung an ein Smartphone besteht. Wahrscheinlicher ist indes die stille Andacht, während im hintersten Abteil die nachgerüstete Luftmassen-Messung ihr eigenwilliges Klangbild erzeugt. Die Abgasanlage aus Edelstahlrohr-Material trägt ihr Übriges dazu bei, auch wenn sie sich nicht in den Vordergrund drängt. Aber das gilt für so ziemlich jedes Detail an einem Gesamtkunstwerk, das 1.400 Arbeitsstunden an sich gebunden hat. Damit die Investition nachhaltig erhalten bleibt, ist nicht zuletzt für gute Sicht gesorgt worden. Die Voll-LED-Hauptwerfer entsprechen dem Stand der Technik. Obendrein schaffen sie ein unverwechselbares, gern gesehenes Gesicht.

“Ich will zurück!” Dieses Ansinnen hat augenscheinlich zum Erfolg geführt und der Welt ein Porsche-Upgrade beschert, das noch von Hand aufgeschlossen und gestartet wird. Man muss ja auch nicht immer nur “raus” wollen wie einst “Purple” Schulz – “hoch hinaus”, auf Passstraßen durch die Gipfelwelt der Alpen, ist doch ein genauso schönes Motiv! Und der Weg vom Neckar in die Berge ist nicht allzu weit.

Verantwortlich für Inhalt und Fotografie: Carsten Krome, netzwerkeins GmbH

Tech-Data: die technische Dokumentation in allen relevanten Einzelheiten

Fahrzeugtyp: Porsche 911 Carrera 2 (Typ 964, Modelljahr 1990) APC Lightweight

Erstzulassung: 13.02.1990

Aufbau der Karosserie (durch AP Car Design; Thomas Nater; Rudolf-Wissell-Straße 4; D-37079 Göttingen): schonende, Porsche-adäquate Entlackung (kein Tauchbad); neuer Lackaufbau in der historischen Porsche-Originalfarbe “Irischgrün” (1966 bis ’69); Entfall der Original-Regenrinnen; Entfall des Schiebedachs; Entfall der Nebelscheinwerfer, der Seitenblinker und der Scheinwerfer-Waschdüsen; neue Voll-LED-Scheinwerfer (AP Car Design); orange Blinker vorn; im Bereich des Vorderwagens weiter nach außen gearbeitete Kotflügel an verlängerten Befestigungsstangen; verschweißte Stahlblech-Dachhaut; Unterseite(n) der Bugschürze sowie der Seitenschweller-Verkleidungen in Wagen-Außenfarbe lackiert, dadurch optische Tieferlegung; Fensterrahmen pulverbeschichtet; historisches Original-Lüftungsgitter Typ F-Modell (1966) im Heckdeckel; Verstärkungen der Karosserie nach den Vorgaben des Typs 964 Carrera RS M 003 (Gruppe N/GT)

elektrische Ausrüstung: um 12 Kilogramm gegenüber der Serien-Ausführung gewichtsoptimierte “Liteblox”-Batterie im Vorderwagen mit per Smartphone ansteuerbarer Abschaltung und GPS-Tracker

Motor: Sechszylinder-Boxer mit Gebläse-Luftkühlung, zwei Ventile pro Zylinder

Aufbau des Motors (durch AP Car Design): Hochdrehzahl-Konzept durch Verzicht auf eine Hubraum-Erweiterung; neue Mahle-Kolben und -Zylinder (3.6 Liter); vergrößerte Einlassventile; doppelte Ventilfedern; Titan-Ventilfederteller; Schrick-Nockenwellensatz (296 Grad an der Einlasseite); Luftmassenmessung

Motorleistung: 311 PS (laut Prüfstands-Messung durch A&A Automobiltechnik, Stephan Aweh)

maximales Drehmoment: 362 Nm

Abgasanlage: 100-Zeller-Katalysator; Cup-Querrohr; Original-Endschalldämpfer

Kraftübertragung: Fünfgang-Schaltgetriebe Typ G50; Einmassen-Schwungrad; 60/20-prozentiges Sperrdifferenzial; Fichtel+Sachs-Sportkupplung; hochpräziser Sportshifter in Montageposition auf einer Mittenachse mit dem Lenkrad unter Beibehaltung des H-Schaltschemas

Räder: Fuchs (8.0J x 18 ET52 vorn und 10J x 18 ET65 hinten mit Distanzscheiben (15 Millimeter) in Schwarz/Silber anodisiert

Felgengewichte: 7.2 kg an der Vorderachse; 8.4 kg an der Hinterachse

Reifen: Michelin “PS2 N3” (225/40-18 vorn und 265/35-18 hinten)

Radaufhängungen, Lenkung: KW Variante 1; Stützlager erneuert; starre Aluminium-Motorlager (Typ 964 Carrera RS); manuelle Lenkung (Typ 964 Carrera RS)

Bremsanlage: Leichtmetall-Festsattel-Gehäuse Typ 911 (Typ 964) turbo 3.6

Scheibendurchmesser: 322 mm an der Vorderachse; 300 mm an der Hinterachse

Interieur: Recaro-Profilschalensitze Typ “Pole Position” mit Rückenschalen in der Wagen-Außenfarbe, Alcantara-Seitenwangen sowie mit grünem Faden versehenen Sitzmittelbahnen im “Pepita”-Look; Entfall der Rücksitzanlage; mit der Karosserie verschraubter Sicherheitskäfig aus Stahlrohr (dadurch Verzicht auf einen Dachhimmel); Leichtfilz-Teppichsatz; Rundinstrumente in Durchlicht-Technik; tief geschüsseltes Momo-Lenkrad in Cup-Ausführung; Innenverkleidungen der Türen mit Kartentaschen; Verzicht auf eine Musikanlage; Schroth-Vierpunktgurte; Schalter in der Mittelkonsole umplatziert

Sonder-und Einzelabnahmen, 2-Jahres-Untersuchung, Abgasuntersuchung, Zeitwertgutachtenermittlung: GTÜ Station Göttingen, Dipl. Ing. Ekkehard Sambale

Höchstgeschwindigkeit: 260 km/h (kurze Getriebe-Übersetzung)

Leergewicht: 1.140 kg mit zehn Litern Treibstoff

Projektdauer (Zeitaufwand): ca. 1.400 Arbeitsstunden