Weißt Du noch, damals? Treffen sich alte Freunde und Bekannte nach längerer Zeit wieder, schwelgen sie allzu gern in schönen Erinnerungen, reden von ihrer Vergangenheit – und haben dem Erlebten oft genug kein neues, kein weiteres Kapitel hinzuzufügen. Für Frank Unverhau und Jörg Hatscher gilt das nicht. Die beiden Norddeutschen waren zwar schon vor über einem Jahrzehnt gemeinsam auf der Nürburgring-Nordschleife unterwegs. Doch sie wollen noch einmal zusammen (Fahr-)Spaß erleben. In der Rennsport-Serie „Tourenwagen Legenden“ treffen exakt jene Original-Fahrzeuge aufeinander, mit denen sie einst die „Grüne Hölle“ in der Eifel unsicher machten. Natürlich war ein beträchtlicher Aufwand vonnöten, um das einstige Renngerät wieder startklar zu machen – vier lange Jahre in dem einen Fall. Auf dem Prüfgelände der norddeutschen Stadt Papenburg fanden sich die einstigen Weggefährten zu ersten Testkilometern wieder. Nicht erst seitdem steht ihnen der Sinn nach mehr: nach mehr Zweikämpfen mit einem Augenzwinkern und noch mehr Gemeinsamkeiten.
Es wird Regen geben. Dieser Satz liegt über dem ATP-Gelände von Papenburg wie ein Mantra, und er ist keine Reminiszenz an den 1992 veröffentlichten Rap-Song der schwäbischen Hip-Hop-Formation „Die Fantastischen Vier“. Vielmehr geht er aus den Wetterdaten des 8. Mai 2021 hervor. Irgendwann nach der Mittagszeit soll der Sonnenschein an diesem Samstag einem Landregen weichen. Das freut den Bauern, nicht aber das bunte Rennvolk im Fahrerlager von Automotive Testing Papenburg, der Langfassung hinter der Buchstaben-Kombination ATP. Schließlich will ein jeder nach unendlichen acht Monaten Schaffenspause – die längste Off-Season aller Zeiten – endlich wieder einmal Motorsport-Atmosphäre atmen. Eile ist geboten, alle wollen trockenen Fußes ihr Programm durchbringen. Da kommt auch schon einmal Hektik auf wie bei einem richtigen Rennen. Die Bühne des Ganzen: der offizielle und Corona-bedingt schon einmal verschobene Testtag der Rennsport-Serie „Tourenwagen Legenden“. Die tritt in diesem Jahr, so sieht es die Planung jedenfalls vor, sechsmal im Rahmen der heutigen DTM auf, und das macht natürlich Sinn: Die automobilen Klassiker, die hier zum Einsatz kommen, zitieren die einstige Tourenwagen-Bundesliga in ihrer ursprünglichen Form.
Jörg Hatscher weiß das alles nur zu gut. Am 18. Januar 2019 gründete er das neue Format für all jene Berühmtheiten der achtziger und neunziger Jahre, nachdem ihn seine Sportfreunde zur Rückkehr aus dem Winterurlaub bewegt hatten. „Du musst nur noch nach hause kommen und schnell eine GmbH gründen“, hatten sie gesagt. Und Hatscher, Oldenburger Unternehmer mit ausgeprägtem Faible für ältere Rennsport-Boliden von Mercedes-Benz, tat wie ihm geheißen. Seitdem ist er aktiver Rennfahrer und Organisationschef der „Tourenwagen Legenden“ in Personalunion – eine nicht ganz einfache Doppelrolle, die sich längst nicht jeder zutrauen würde. Ob er jemals daran gedacht hat, als er noch mit „Baby 2″ in der „Grünen Hölle“ unterwegs war? Auf der Nürburgring-Nordschleife gab er einem Mercedes-Benz 190 E 2.5-16 EVO II die Sporen, mit dem er beim 24-Stunden-Rennen 2013 trotz widrigster Wetterverhältnisse im Ziel ankam. Seine drei Mitfahrer seinerzeit: der Fahrwerks-Experte Sebastian Sauerbrei, der Technik-Gelehrte Thorsten Stadler aus Hann.-Münden – und der Hamburger Frank Unverhau. Man lernte sich – ganz norddeutsch – bei einem Fahrerlehrgang der Scuderia Hanseat unter der Leitung des mehrmaligen Le-Mans-Finishers Götz von Tschirnhaus auf dem Eifelkurs kennen. Und von Tschirnhaus, da schließt sich der Kreis, ist südlich der Hansestadt Lübeck im beschaulichen Trittau zuhause.
Der Eindruck auf die beiden Novizen war mehr als nachhaltig. Sie beschlossen, gemeinsam Rennen auf der Nordschleife zu fahren. Zunächst fuhren sie auf diversen seriennahen BMW-Fahrzeugen in der Langstrecken-Meisterschaft auf dem Nürburgring, die seinerzeit noch deutlich mehr ein Breitensport-Format war als heute. Mit Niki Wegeler, damals noch in Koblenz zuhause, gesellte sich ein ortskundiger Mit-Fahrer der ersten Stunde mit seinem BMW M3 E30 dazu. Von der Serienwagen-Kategorie führte der Weg in die technisch freizügigere Gruppe H – und zum ersten Klassensieg. Dem folgte im Mai 2013 der Auftritt mit Hatschers „Baby 2″, einer fahrenden Hommage an Klaus Ludwigs Meisterwagen der DTM-Saison 1992. Thorsten Stadler, der sich nun als dritter Mann dazugesellte, zeichnete damals schon für den Aufbau und den Einsatz des Mercedes-Benz 190 E 2.5-16 EVO II verantwortlich. Beim 24-Stunden-Rennen Nürburgring 2013 lief der beflügelte Viertürer aber noch nicht im originalgetreuen Sponsorlook, das ihn inzwischen ziert. Wäre das ebenfalls im Besitz von Jörg Hatscher befindliche Originalfahrzeug 1993 nicht in eine Klasse-1-Ausführung in einem anderen Design umgebaut worden, würde das Replikat seinem Vorbild heute zum Verwechseln ähnlich sehen. So wird ein unmittelbarer Vergleich nur schwerlich möglich sein. Jedenfalls kamen Hatscher, Unverhau, Stadler und Sauerbrei trotz teilweise katastrophaler Wetterverhältnisse in der Hocheifel – das Rennen musste zwischenzeitlich unterbrochen werden – über die verkürzte Distanz und ins Ziel.
Später verlagerten sich die Interessen der beiden Sportsfreunde. Frank Unverhau baute sich ein eigenes Rennteam auf, setzte bis zu drei BMW-Fahrzeuge in der VLN (heute NLS) ein und konnte mit seiner Truppe sogar unter die Top Ten der weltbesten BMW-Privatteams fahren. Nach seinem Rückzug aus der zusehens aufwändiger werdenden Serie erhielt er später die Möglichkeit, den anfangs in der VLN genutzten BMW M3 zu übernehmen – nicht ahnend, dass er sich damit um ein aufwändiges Restaurationsprojekt einhandeln würde. Vier Jahre vergingen, ehe der Vierzylinder-Vierventilmotor mit der legendären Kennung S14 nach erfolgter Remontage den ersten Schrei von sich geben würde. Inzwischen ist der exakt 296,4 PS leistende Gruppe-A-Bolide vom Münchner Petuelring wieder ein wahres Schmuckstück. Da der Hecktriebler künftig in der Rennsportserie „Tourenwagen Legenden“ in der Klasse 2 antreten wird, ist konsequenter (Kunststoff-)Leichtbau, so zum Beispiel in den Seitenfenstern, erlaubt. Moment mal – „Tourenwagen Legenden“? Das ist doch das Format, das Frank Unverhaus einstiger Sportsfreund Jörg Hatscher vor etwas als zwei Jahren gründete und seitdem etablierte! Der Kreis schließt sich also wieder, zumal der Rennen fahrende Rennserien-Betreiber wieder verstärkt Gefallen an seinem „Baby 2″ gefunden hat. 2014 war er zunächst in einen Mercedes-Benz CLK des DTM-Jahrgangs 2000 gewechselt, dann in Alesis C-Klasse 2004 und anschließend in die spektakuläre C-Klasse der Klasse 1, ein High-End-Gefährt erster Güte. 2018 holte er den dreimaligen DTM-Champ Klaus Ludwig zu sich ins Cockpit, feierte Triumphe im historischen Tourenwagen-Rennsport mit Rundenzeiten auf dem Level der heutigen GT3-Supersportwagen. Auf die Frage, wie lange er denn gebraucht habe, um sich auf den Hightech-Renner einzustimmen, antwortet er ganz unprätenziös: „Zehn Minuten!“, und er fügt hinzu: „Ich finde den alten 190er heute fast anstrengender.“
Dennoch kehrt er am 8. Mai 2021 in Papenburg zu seinen Wurzeln zurück – und trifft wieder auf Frank Unverhau, seinen alten Rennfahrerfreund. Beiden ist die Freude über das Wiedersehen in ihre Gesichter geschrieben – ganz besonders in dem Moment, der Jörg Hatscher die Einladung zu einem Gasteinsatz im runderneuerten BMW M3 einbringt. „Am liebsten würde ich am Norisring mit Frank an den Start gehen“, sieht er den kommenden Ereignissen mit dem ihm eigenen Enthusiasmus entgegen. „Zwar ist der ursprüngliche Termin Corona-bedingt weiter ins Jahr verschoben worden, aber für mich bleibt der Stadtkurs in Nürnberg mit so einer rauhbeinigen DTM-Replika ein absolutes Highlight. Klaus (Ludwig, d. Red.) kann meine C-Klasse auch ohne mich angemessen präsentieren, daran besteht gar kein Zweifel.“ Wäre es möglich, beide Weggefährten langfristig wieder in ihren angestammten Sportgeräten zu erleben, Jörg Hatscher mit „Baby 2″ statt der C-Klasse? Der Gefragte bleibt einerseits diplomatisch und äußert sich erst einmal nicht. Sein diebisches Grinsen indes spricht Bände, und auch Frank Unverhau hätte seinen Spaß daran. Als er schließlich die Heimreise antritt, der angesagte Regen hat pünktlich um 16.00 Uhr eingesetzt, zieht er ein eindeutiges Fazit: „Ich habe heute nur freundliche, entspannte Menschen getroffen, das macht einfach Freude bei den Tourenwagen Legenden – es wird höchste Zeit, dass jetzt das erste richtige Rennen kommt!“
Verantwortlich für den Inhalt: Carsten Krome Netzwerkeins
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Steffan Irmler, „Setting One“ und der 1994er Opel Astra aus der südafrikanischen Tourenwagen-Meisterschaft: Testkilometer in Papenburg.
Veröffentlicht am: 18. Mai. 2021 um 21:58 Uhr
https://www.netzwerkeins.com/2021/05/18/testlauf-spur-und-sturzmesssystem-setting-one-atp-papenburg/