Einen einsamen Rekord hat der Ford Mustang GT 5.0 Gruppe A aufgestellt. Kein anderer Renntourenwagen war länger in DPM und DTM aktiv als das US-amerikanische Coupé mit dem anfangs 350 PS leistenden Achtzylinder-Motor. Gleich in der ersten Saison der Deutschen Produktionswagen-Meisterschaft, die 1984 der DTM vorauseilte, waren zwei Exemplare des Butzbacher Ford-Händlers Bernd Ringshausen mit von der Partie. Noch früher begann die Karriere des Zakspeed-Mustang Gruppe A, mit dem Klaus Niedzwiedz im Hochsommer 1983 einen Vorgeschmack auf die spätere Tourenwagen-Bundesliga gab.
Sonntag, 10. Juli 1983, Großer Preis der Tourenwagen: Auf der Nürburgring-Nordschleife beginnt die Zukunft des Produktionswagen-Rennsports. Längst hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Kosten der 1982 neu in den Weltmarkt eingeführten Gruppe C auf nationaler Ebene nicht zu tragen sein werden. Die Wirtschaft befindet sich in einer Rezession, allein in der Endurance-Weltmeisterschaft können die Budgets für die futuristischen Prototypen aufgebracht werden. Die bis 1980 noch florierende Deutsche Automobil-Rennsportmeisterschaft liegt am Boden. Nur noch eine Handvoll Rennwagen nimmt am einstigen Elite-Championat teil. Die Losung lautet: zurück zu mehr Nähe zur Serie, runter mit den ausufernden Etats! Die Tourenwagen der Gruppe A gelten als der neue Königsweg. 150.000 D-Mark stellt die BMW-Motorsportabteilung für einen 635 CSi in Rechnung, der in der Europameisterschaft der Tourenwagen mit Jaguar und Rover um Siege kämpft. Beim Heimspiel auf dem Nürburgring setzt sich nach sechsstündiger Hitzeschlacht das Schnitzer-Exemplar der Werkspiloten Manfred Winkelhock und Dieter Quester durch. Die schnellste Runde lassen die Jaguar-Piloten Tom Walkinshaw und Chuck Nicholson in 8:02.44 Minuten notieren. Ihr Zwölfzylinder-Coupé hält im Rennen aber nicht durch, der Reihen-Sechszylinder des BMW erweist sich bei den außergewöhnlich hohen Temperaturen als belastbarer.
Nur zwei Tage später sind die vorgelegten Referenz-Rundenzeiten wieder ein Thema. Das Zakspeed-Team ist aus dem nahen Niederzissen an die Tribüne T13 gekommen, um die provisorische Boxenanlage der Nürburgring-Nordschleife für einen Test-Dienstag zu beziehen. Mit den Vertragsfahrern aus der Deutschen Automobil-Rennsportmeisterschaft, Klaus Niedzwiedz, dessen Namensvetter Klaus Ludwig sowie Nachwuchstalent Jörg van Ommen, reist Erich Zakowski an – und mit einem US-amerikanischen Ford Mustang. Tuner Jack Roush hat dem Fünfliter-Achtzylindermotor für den Anfang 320 PS mit auf den Weg über den großen Teich gegeben – genug, um potenzielle Kundenteams zu überzeugen? Jedenfalls ist Erich Zakowski von der Idee angetan. Der Meistermacher, gebürtiger Ostpreuße, fordert nach dem Auslaufen des bisherigen Reglements Ende 1981 dringend einen Nachfolger für die erfolgreichen Escort und Capri seiner Kunden. Gleiches wünscht sich zum Beispiel auch der Butzbacher Ford-Händler Bernd Ringshausen, der zwei ältere Escort BDA für den Schweizer Walter Nussbaumer und den Saarländer Ford-Testfahrer Dieter Selzer an den Start bringt. Letzterer fährt zwar in der Deutschen Rennsport-Trophäe 1983 von Sieg zu Sieg, doch die Zeichen stehen auch hier auf Veränderung. Denn schon 1984, so der Plan, soll das vier Jahre zuvor ins Leben gerufene Unterhaus der Rennsportmeisterschaft nicht mehr zur Austragung kommen. Da für Ringshausen aufgrund seiner Bindung an die Ford-Werke ein Markenwechsel keineswegs in Betracht kommt, ist er genau wie Erich Zakowski an einem neuen Renngerät interessiert.
Die die Ford-Werke selbst gilt das nicht unbedingt. Mit dem Engländer Stuart Turner ist 1983 ein Sportchef neu ins Amt bestellt worden, der sämtliche Aktivitäten zugunsten des kommenden Sierra XR4 ti erst einmal stoppt. Und in Deutschland beklagt der nationale Ford-Rennleiter Lothar Pinske, der Mustang werde nicht immer auf geradem Weg aus den Vereinigten Staaten eingeführt. Wie dem auch sei: Zakowski gelingt es dank seiner guten Beziehungen, einen rennfertigen Mustang an den Nürburgring zu dirigieren und sogar einen Preis festzulegen. 150.000 D-Mark, so die kurze Zeit später über einen Testbericht im Fachblatt auto, motor und sport lancierten Fahrbericht verbreitete Botschaft, soll das jüngste Pferd im Stall schon kosten. Was nun noch fehlt, ist die Beweisführung, dass der V8-Bolide auch konkurrenzfähig sei. Klaus Niedzwiedz, der ausschließlich am Steuer sitzt und sich im Auftrag des Sponsors GWB Gelenkwellenbau auf einen ersten Renneinsatz auf dem Hockenheimring vorbereitet, besinnt sich einer List. Er weiß, dass oberhalb der schnellen Doppel-Rechts im Streckenabschnitt “Flugplatz” einige Beobachter postiert sein würden. Also nimmt er am tiefsten Punkt der Anfahrt kurz Gas weg, um bis zum höchsten Punkt voll durchbeschleunigen und am staunenden Publikum unter Volllast vorbeizufahren zu können – ohne großen aerodynamischen Abtrieb am Heck, nur von einer winzig kleinen Abrisskante am Heckdeckel gehalten. “Da haben einige Herrschaften nicht schlecht gestaunt”, freut er sich auch 38 Jahre später. Die erzielte Referenz-Rundenzeit: 8:06 Minuten. Beim Großen Preis der Tourenwagen hätte diese Leistung auf Anhieb für die vierte Startreihe gereicht.
Vom 12. Juli bis zum 7. August 1983 vergehen nur wenige Wochen. Während dieser Zeit übernimmt der Mustang den GWB-Sponsorlook des Zakspeed-Ford C100, pardon, C1/8, mit dem Klaus Niedzwiedz in der Deutschen Rennsportmeisterschaft antritt. Beim Großen Preis von Deutschland auf dem Hockenheimring zeichnet sich ein Ereignis von sporthistorischem Wert ab. Im Rahmen der Formel 1-Weltmeisterschaft sollen gleich zwei Pilotprojekte die Zukunft des Produktionswagen-Rennsports aufzeigen. Andreas Meyer vom veranstaltenden AvD zieht dabei geschickt die Fäden. Zum einen holt er die französische Tourenwagen-Meisterschaft, kurz NOSCAR, zu einem Gastspiel mit deutscher Beteiligung – Hans Heyer zum Beispiel auf einem Chevrolet Camaro des belgischen Tuners Serge Baenkens – ins Nachbarland. Zum anderen treten Hochkaräter wie Enzo Calderari und Tom Walkinshaw mit Werks-Jaguar XJS Gruppe A aus der Tourenwagen-Europameisterschaft oder Jörg van Ommen mit einem BMW 635 CSi Coupé in der Deutschen Rennsport Trophäe im Grand Prix der Tourenwagen außer Konkurrenz in Erscheinung, außerdem Klaus Niedzwiedz bei der Rennpremiere des Ford Mustang. In beiden Trainingssitzungen markiert der Dortmunder Bestzeit, einmal mit sechs Zehntelsekunden Vorsprung auf Calderari, einmal mit zwei Sekunden Abstand auf Walkinshaw. Nach der Freigabe des 15-Runden-Rennens setzt sich Niedzwiedz auch gleich in Szene – und neben den leistungsmäßig überlegenen Tessiner mit dem Zwölfzylinder-Jaguar. Der Eidgenosse nutzt dann jedoch die Mehrleistung des Jaguar und zieht davon, während der US-Ford nach einer Rangelei an die fünfte Stelle zurückfällt. Mit Zündaussetzern und 500 Umdrehungen pro Minute weniger kann der Debütant am Ende froh sein, als Zweiter über die Ziellinie zu rollen. Fazit: Einstand geglückt, Potenzial vor großer Kulisse bestmöglich aufgezeigt. Und wie soll es nun weitergehen?
Am 11. März 1984 steigt im belgischen Zolder die mit Spannung erwartete Premiere der Deutschen Produktionswagen-Meisterschaft. Von Anfang an mit von der Partie: der Ford-Händler Bernd Ringshausen aus Butzbach, der vom Escort BDA Gruppe auf einen in eigener Regie aufgebauten Mustang GT 5.0 umsteigt. Den Motor liefert wie zuvor bei Zakspeed der US-Tuner Jack Roush, der Moerser Flugkapitän Manfred Trint ist der Pilot, Felgenfabrikant Rial aus Fußgönnheim in der Pfalz der Sponsor. Dem Deutschen Meister der Formel Super-VW 1973 gelingen zwar auf Anhieb vier grandiose Laufsiege, trotzdem taktiert sich Volker Strycek sieglos zum Titelgewinn. Im kommenden Jahr übernimmt Roland Asch das Mustang-Cockpit, sichert sich einen zweiten Platz auf der Berliner Avus, gewinnt aber kein Rennen mehr. Seine Bilanz am Jahresende: der vierte Schlussrang, zwei Plätze besser als der zwölf Monate zuvor sechstplatzierte Trint. Der Westerwälder Langstrecken-Spezialist Helmut Döring besetzt 1985 zumindest während der ersten fünf Rennen einen zweiten Mustang GT 5.0. Döring startet 1983 wie Bernd Ringshausen in der Deutschen Rennsport Trophäe, allerdings auf einem Ford Capri. In der Saison 1985 wird auch Roland Asch im Mustang von ABR Ringhausen Rennsport eingesetzt und schafft zweimal den Sprung aufs Podium. 1986 kommt es – wiederum mit dem Ringshausen-Mustang – nur noch zu sporadischen Einsätzen. Überhaupt zeichnet sich nach den ersten beiden Spielzeiten ein Szenen- und Modellwechsel ab. Aus der Deutschen Produktionswagen-Meisterschaft wird 1986 die Deutsche Tourenwagen-Meisterschaft. Der im Sommer 1985 bereits eingeführte und auf der Avus siegreiche Ford Sierra XR4Ti löst den Mustang ab – aber nur scheinbar. Denn in privater Hand lebt das US-amerikanische Coupé zunächst weiter. 1986 übernimmt der junge Hesse Volker Schneider einen der Ringshausen-Mustang, kommt aber nicht weit damit. Nach zwei Auftritten quittiert der Motor seinen Dienst – Feierabend bis auf weiteres. Anfangs läuft es auch für Gerd Ruch nicht viel besser. Der Berliner Unternehmer im Sanitär- und Heizungsbau steigt 1989 in die DTM ein. Schnell ist der Gruppe-A-Bolide der ersten Stunde auf Anhieb – allerdings nur geradeaus, wie weiland auf der Berliner Stadtautobahn.
Ruch beißt sich durch, modifiziert sein Auto immer weiter, holt Fred Räker und seinen Bruder Jürgen Ruch auf einem zweiten Mustang ins Boot – und bleibt der DTM als Ford-Fahrer bis 1994 erhalten. Länger ist kein anderer Fahrzeugtyp in der DTM vertreten: ein einsamer Rekord, zu dem von 1992 bis 94 auch Jürgen Feucht mit einem dritten Exemplar seinen Beitrag leistet. 2021 gründet Kai Ringshausen, Sohn des 2014 verstorbenen Rennstallbesitzers, ein Revival-Team. Er bringt prominente Verstärkung mit: Klaus Niedzwiedz, der einige Rennen mit einem Ford Sierra RS Cosworth bestreitet und in den schönsten Erinnerungen schwelgt: “Wirklich – 38 Jahre ist das alles her mit unserem Mustang?”, fragt “Niedze” 2021 am Norisring und scheint in diesem Augenblick noch einmal vor seinem geistigen Auge um die Nürburgring-Nordschleife zu fahren. Damals, im heißen Sommer 1983. Mögliches Motto: Alles noch einmal zurück auf Anfang!