Ihr Lachen war mitreißend, ihre Leidenschaft für den Rennsport fühlbar, ihre Lenkrad-Akrobatik von fast traumwandlerischer Sicherheit: Sabine Schmitz, geboren am 14. Mai 1969 in Adenau, war eine Sympathieträgerin, eine Lichtgestalt, eine Symbolfigur – und das nicht nur für die großen Langstreckenrennen auf der Nürburgring-Nordschleife. Zweimal hintereinander gewann die Hotelierstochter aus der Hocheifel das 24-Stunden-Stunden vor ihrer Haustür und ein Jahr später noch den Langstreckenpokal (VLN). So verschaffte sie sich Respekt in einer Männerdomäne, etablierte an der Seite ihres Lebensgefährten Klaus Abbelen einen 2005 gegründeten Porsche-Rennstall. Und doch war auch sie, die die Unbesiegbarkeit in Person zu sein schien, im Kampf mit einer heimtückischen, überaus seltenen Krebserkrankung machtlos. Vier Jahre lang bot Sie dem Schicksal ihre Stirn, ehe sie am 16. März 2021 das Unausweichliche ereilte. Ihr viel zu früher Tod mit 51 Jahren reißt eine tiefe Lücke, die weltweite Anteilnahme ist überwältigend.
20. September 1992, Großer Preis der Tourenwagen auf dem Nürburgring. Die Deutsche Tourenwagen-Meisterschaft ist zu Besuch in der Eifel, die Zuschauerränge sind gut gefüllt, die Stimmung ist so sonnig wie das Eifelwetter selbst. Der Saarländer Bernd Schneider gewinnt beide Durchgänge auf Mercedes-Benz. Im Rahmenprogramm kommt es zur Darbietung einer 23-jährigen Einheimischen, die im Ford Fiesta Mixed Cup auftritt wie eine ganz Große. Sabine Schmitz aus Nürburg teilt sich das Cockpit des nur 105 PS leistenden Ford Fiesta XR2i mit Thomas Marschall aus Eggenstein. Vor heimischem Publikum fährt sie den bereits vierten Sieg der Saison ein. Und weil sich wenige Wochen später auf dem Hockenheimring der fünfte Triumph einstellt, zehn Rennen werden insgesamt gefahren, jeweils eine Fahrerin und ein Fahrer teilen sich in der Markenpokal-Rennserie ein Auto, gewinnt sie mit 447 Punkten auch die Meisterschaft. Auf Rang zwei, mit 32 Zählern Rückstand, findet sich Beate Nodes aus Bürgstadt wieder. Sie kennt das Renngeschäft schon seit mehr als zehn Jahren, hat es mit einem werksunterstützten Ford Sierra bis in die Deutsche Tourenwagen-Meisterschaft gebracht. Sabine Schmitz bezwingt die Erfahrene mit einer bemerkenswerten Selbstverständlichkeit. Woher sie das nimmt, zeigt ein Blick in ihre Familienhistorie. Mutter Ursula betreibt noch heute ein weit über die Grenzen der Hocheifel hinaus bekanntes Hotel in unmittelbarer Nähe des Nürburgrings, die beiden älteren Schwestern fahren ebenfalls Rennen – zuerst Petra, dann Susanne.
Sabine Schmitz folgt ihnen, sie legt hinter ihre Ambitionen den größten Nachdruck von allen dreien, dreht mit der Zeit zigtausende Runden auf der heimischen Nordschleife. 30.000 sollen es insgesamt gewesen sein. Oft genug muss Mutters Privatwagen herhalten, schließlich wird im Talort Adenau tagtäglich für den Hotelbetrieb eingekauft. Und da der Weg zurück nach Nürburg zum Hotel Tiergarten ab Breitscheid gut über die Nordschleife zu bewältigen ist, meldet sich Sabine freiwillig zum Fahrdienst. Die Geschichten, die sich um diese Zeit ranken, werden zu Legenden. Sie handeln von Streckenwärtern, die bei der Einfahrt in den Eifel-Parcours regelmäßig wegschauen und von einem Einheimischen, der die Mittzwanzigerin in seinen nagelneuen BMW M3 der Baureihe E36 setzt. Johannes Scheid heißt der Mann, der nebenan in der 172-Seelen-Gemeinde Kottenborn zuhause ist und neben seinem Beruf im Baugewerbe einen kleinen Rennstall betreibt. Allerdings findet die Novizin im Team, die Lackierung des BMW in schlichtem Weiß sei ein wenig langweilig. Prompt malt sie die Nürburg auf die beiden Seitenteile der Karosserie, der „Eifelblitz” ist geboren und mit ihm ein neuer Publikumsliebling. Als 1996 dann auch noch der erste Sieg beim 24-Stunden-Rennen auf der Hausstrecke gelingt, Scheid und Hans Widmann sind die Mitfahrer, ist der Durchbruch geschafft. Auslandseinsätze für BMW führen sie bis nach Südafrika, zigtausend Runden als Renntaxi-Fahrerin, vornehmlich am Steuer eines BMW M5, immer wieder zurück auf die heimische Nordschleife – und Oliver Reck vor den Traualtar. Der Pulheimer Kieferorthopäde widmet seiner Angetrauten ein eigenes Hotel, das den Rennfahrernamen Ascari trägt. Doch die Ehe zerbricht, ehe Sabine Reck am 14. Mai 1999 ihren 30. Geburtstag feiert. Zu diesem Zeitpunkt fährt sie wieder unter ihrem Mädchennamen ihre Rennen, hat das 24-Stunden-Rennen ein Jahr nach ihrem ersten Triumph ein zweites Mal gewonnen und spricht später davon, in einem goldenen Käfig gelebt zu haben. Und das ist auch für eine Hotelierstochter, die als Kleinkind die Bekanntschaft mit den Weltstars der Formel 1 gemacht hat, keine Lebensperspektive.
Den Himmel auf Erden könnte ihr auch der Fleischwarenproduzent Klaus Abbelen bieten, doch der Niederrheiner geht die Sache anders an. „Frikadelli”, der Hobby-Rennfahrer auf PS-starken Porsche, und die Vollblut-Rennfahrerin aus der Eifel werden zum Traumpaar. Sie eint ein fein gesponnenes Netz, das auf ähnlicher Mentalität beruht: lebensfroh, volkstümlich und allseits freundlich auf der einen Seite, klar und fokussiert auf der anderen. 2005 gründen sie mit dem soeben erst neu in den Markt gebrachten Porsche 911 GT3 Cup der Generation 997.1 einen eigenen Rennstall, dem die Sympathien nur so zufliegen: Frikadelli Racing. Bis zum 24-Stunden-Rennen 2008 ist der Neunelfer in einen ausgewachsenen Rennsportboliden der Klasse SP7 weiterentwickelt worden. Zusammen mit Klaus Abbelen, Dr. Edgar Althoff und Kenneth Heyer erreicht Sabine Schmitz hinter den Siegerfahrzeugen von 2006 und 2007 den dritten Rang in der Gesamtwertung. Nach den Siegen 1996 und 1997 wieder ein Podiumsrang beim Langstrecken-Klassiker in der Eifel – ein Feiertag für die gesamte Region. Weitere Erfolge stellen sich ein. Weil im September 2008 ein Lauf zur Langstrecken-Meisterschaft aufgrund von Bauarbeiten rund um den Nürburgring ausfällt, tritt die rasende Lebensgemeinschaft am Wochenende darauf in der Rundstrecken-Challenge Nürburgring (kurz RCN) an, wo sie ihren insgesamt vierten Gesamtsieg einfährt. Dabei erzielt Sabine Schmitz in 7:09 Minuten die schnellste Rundenzeit, die – bis zum damaligen Zeitpunkt – in diesem Wettbewerb mit einem Saugmotor-Fahrzeug erzielt worden ist. Ihre eigene Rundenbestzeit verbessert sie in einem anderen RCN-Lauf auf 7:07 Minuten. 1983 hätte sie mit dieser Leistung beim 1.000-Kilometer-Rennen auf der Nürburgring-Nordschleife, dem letzten Endurance-Weltmeisterschaftslauf in der „Grünen Hölle”, inmitten der Prototypen der Gruppe C munter aufgespielt. Beim 24-Stunden-Rennen 2009 tritt der umgebaute 911 GT3 Cup letztmals in Erscheinung, dann beginnt unaufhaltsam das Zeitalter der GT3-Kategorie. Der neue Porsche 911 GT3 R erweist sich als ein ähnlicher Dauerbrenner. Zur Saison 2013 präsentiert die Kundensport-Abteilung von Porsche ein Aerodynamik-Update, den Step 2013. Klaus Abbelen zieht unversehens mit und bringt den GT3 R auf den neuesten Stand. Der wichtigste Erfolg stellt sich am 20. Juni 2015 ein: Sabine Schmitz, der Niederländer Patrick Huisman und Schlussfahrer Abbelen bescheren Porsche den 200. Sieg in der Langstrecken-Meisterschaft Nürburgring, die 1977 unter dem Kürzel VLN (Veranstaltergemeinschaft Langstreckenrennen Nürburgring) gegründet worden ist. Freilich hängt der Triumph am seidenen Faden: 45 Minuten vor Schluss fängt das Heck beim letzten planmäßigen Stopp an den Boxen Feuer und muss gelöscht werden. „Beim Nachfüllen hat sich Öl am Motorblock entzündet“, erklärt Abbelen später. „Das war ärgerlich, in meinem Schlussturn litt das Fahrzeug, vermutlich aufgrund des Löschpulvers, unter mangelnder Motorleistung.“ Und er fügt hinzu: „Wenn sich bewahrheitet, dass nun der Motor hinüber ist, war das ein teurer Sieg.“ Sabine Schmitz nimmt die Steilvorlage dankend an: „Vielleicht schenkt Porsche uns für den 200. Sieg ja ein neues Aggregat.“ Es ist einer ihrer unverwechselbaren Kommentare, und längst hat sie ihre Schlagfertigkeit ins Fernsehen befördert. Besonders in England wird sie zur Kultfigur, während sie daheim in Barweiler, auch das in Rufweite des Nürburgrings, ihrer zweiten oder dritten Leidenschaft nach dem Rennen fahren und dem Fliegen mit dem Hubschrauber nachgeht: Sie liebt Tiere, vor allem Westernpferde. So entsteht gleich neben dem Teamsitz von Frikadelli Racing eine stilechte Ranch – und das inmitten der Vulkaneifel. Zwischendurch immer wieder neue Porsche: 2016 der nächste Modellwechsel, der 911 GT3 R der Generation 991.1 beerbt den sechs Jahre zuvor in Dienst gestellten 997, der heute eine Privatsammlung in Jena bereichert.
Was sich liest wie ein kitschiger Roman, kehrt sich 2017 ins Gegenteil um: Da ist eine Krebsdiagnose, von der die Öffentlichkeit lange Zeit nichts erfährt. Dann jedoch wird es 2018 zur Gewissheit. Doch Sabine Schmitz geht mit der bedrohlichen Situation auf ihre Art um: offen, kämpferisch, unerschütterlich. Sie hat sich noch nie verbiegen lassen, warum ausgerechnet jetzt? Ein Jahr später sitzt sie wieder im Rennauto – aber nicht im Porsche, sondern im physisch weniger anstrengenden BMW 325i ihres 1989 zur Welt gekommenen Bruders Beat. Eisern kämpft sie sich zurück, scheint die heimtückische Krankheit nach Operationen und Chemotherapien überwunden zu haben. Dann jedoch vermeldet sie, der Krebs sei wieder zurückgekehrt. Erneut zieht sie sich zurück, hält über die sozialen Netzwerke Kontakt mit der Außenwelt. Zuletzt vermeldet sie, alle Kraft für weitere Behandlungen zu brauchen – in der Hoffnung, dass irgendwann irgendetwas anschlägt. Doch dann, am 16. März 2021, wird es still. Im Alter von nur 51 Jahren endet das Leben der Nordschleifen-Königin. Was bleibt, ist Trauer ohne Grenzen. In aller Welt herrscht Fassungslosigkeit. Ihr Tod reißt eine Lücke, die keine Nachwuchskraft der heutigen Instagram-Generation auch nur näherungsweise wird schließen können. Schnell kommt die Forderung auf, einen Abschnitt der Nürburgring-Nordschleife nach „Speedbee” Sabine Schmitz zu benennen. Aber welchen? Eigentlich liegt die Antwort auf der Hand, denn da gibt es am Ende der 20,8 Kilometer eine schnelle Passage, die heißt Tiergarten. So heißt auch das elterliche Hotel in Nürburg, in dem alles einst begann. Damals in der Pistenklause, als ein Österreicher namens Nikolaus Andreas Lauda die kleine Sabine auf den Schoß nahm und nicht ahnen konnte, dass das Mädel dereinst (fast) so schnelle Rundenzeiten vorlegen würde wie er selbst im Ferrari der Formel 1. Wie wäre es also mit „Sabines Tiergarten”? Das würde den schon jetzt von offizieller Seite in Spiel gebrachten Verwaltungsaufwand verringern helfen und der wohl berühmtesten Rennfahrerin auf dem Nürburgring ein Denkmal setzen. Verdient hätte sie es ganz sicher, auch wenn eins feststeht: Eine wie sie wird niemals vergessen werden, am Nürburgring nicht und auch nirgendwo sonst.
Verantwortlich für Inhalt und Fotografie: Carsten Krome, netzwerkeins GmbH
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