1995 plante Porsche den Einsatz zweier offener World Sports Cars (WSC) beim 24-Stunden-Rennen von Daytona. Kurz vor dem Start warfen die Amerikaner das technische Reglement noch einmal um. Porsche zog die Werkswagen auf der Stelle zurück. Statt dessen holte der Kremer-K8 Spyder die Kastanien aus dem Feuer. Das schmeckte der Konzernleitung. Einerseits hatte man Haltung gewahrt, anderseits auch in Abwesenheit gesiegt. Kremer erhielt als Prämie volle Werksunterstützung bei den 24 Stunden von Le Mans 1995. Doch die Chance, auch an der Sarthe zu gewinnen, verpuffte. Der Kölner K8 Spyder baute noch auf dem 962 CK6 des Jahrgangs 1990 auf – zwar mit Kohlefaser-Chassis, aber technisch insgesamt nicht mehr mehr auf der Höhe der Zeit.

Die Spyder aus dem Werk hingegen verfügten über ein zeitgemäßes Chassis. Ross Brawn hatte es 1991 gezeichnet, als er in Diensten des Jaguar-Einsatzleiters Tom Walkinshaw stand. Brawns Design glänzte durch Variantenreichtum. So war es möglich, mit oder ohne Glaskuppeldach zu fahren. Porsche bestellte offene Versionen. Als Hersteller trat das Kürzel TWR für Tom Walkinshaw Racing auf. Der Motor: wie auch im K8 Spyder von Kremer ein 2.994 ccm großer Sechszylinder-Doppelturbo aus der Gruppe C. Das Reglement schrieb die Menge der Ansaugluft exakt vor. Bei 7.200/min kamen noch 530 PS zu den Antriebsrädern. 1996 erhielt Reinhold Joest beide TWR-WSC95-Spyder auf Leihbasis. Mit dem Werk verständigte er sich auf die Rückgabe nach den 24 Stunden von Le Mans. 1984 und ‘85 siegte Joest mit ein und demselben 956-Chassis an der Sarthe. Inzwischen hatte ihn Opel für die Deutsche Tourenwagen-Meisterschaft (DTM) engagiert. Joest fasste den Plan, seine Belegschaft mit einer Dienstreise nach Le Mans zu belohnen. Einen Großteil seines Personals beschäftigte der Rennstallbesitzer schon sehr lange.

Mit 18 Monaten Verspätung holten die für Daytona gebauten Spyder ihre Premiere nach. Aber nicht nur das: Manuel Reuter, Alexander Wurz und Davy Jones bezwangen den 911 GT1 aus dem Werk mit einer Runde Vorsprung. Reinhold Joest nahm man es nicht krumm, alles auf die eigene Karte gesetzt zu haben. Das Gegenteil war der Fall: Er bekam den dunkelblauen Siegerwagen geschenkt. Nur das von Michele Alboreto, Didier Theys und Pierluigi Martini gesteuerte Schwesterauto musste Joest zurückgeben. 1997 schlug die Schenkung nochmals zu. Stefan Johansson und Tom Kristensen verstärkten Alboreto. Als Flammen aus dem führenden 911 GT1 Evo schlugen, war der Vorjahressieger zur Stelle und gewann. Reinhold Joest wiederholte das Kunststück der Jahre 1984 und ‘85. Wie damals triumphierte er zweimal hintereinander mit ein und demselben Fahrgestell. 1998 probierte er den Hattrick. Dazu vertraute ihm das Werk nochmals den zweiten TWR-WSC95 an. Aber nicht nur das. Statt Antriebseinheiten aus der Gruppe C erhielt Joest die Motoren und die Sechsgang-Getriebe des 911 GT1. Dies und Windkanalversuche am 1:5-Modell verbesserten die Rundenzeiten um über sechs Sekunden. Der Erfolg blieb dennoch aus.

Michele Alboreto, Stefan Johansson und Yannick Dalmas lagen auf dem sechsten Rang, als ein Schwungscheiben-Sensor zur Aufgabe zwang. David Murry, James Weaver und Pierre-Henri Raphanel crashten bei Regen in der ersten Mulsanne-Schikane. Die 911 GT/98 kamen auf den Plätzen eins und zwei ins Ziel. Anschließend zog Porsche sich zurück – und alles existierende Material ein. Ein neu entwickelter Zehnzylinder-Prototyp kam nie zum Einsatz. 1999 kehrte Reinhold Joest mit dem Audi R8 nach Le Mans zurück. Von 2000 an siegte er in Serie.

Verantwortlich für Text und Fotografie: Carsten Krome Netzwerkeins

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