“Der eine hat das Pferd. Der andere kann reiten.” Das Leitmotiv der netzwerkeins GmbH und vieles andere mehr stammt von Joachim Krome, der im Alter von 86 Jahren am 13. November 2022 verstorben ist.
Ein Nachruf von Carsten Krome, Sohn und Wegbegleiter:
Mein Vater Joachim Krome wurde am 17. September 1936 in Duisburg geboren, wo er bis 1978 lebte. Dann zog er mit seiner Frau Renate, verstorben am 6. November 2003, und mit mir nach Moers an den Niederrhein.
Nachdem er erfahren hatte, dass er Großvater eines Mädchens – Lily, geboren am 12. Januar 2008 – werden würde, zog er 2007 nach Münster. Dort, gerade 70 geworden, lebte er noch einmal auf und begleitete seine Enkelin auf so ziemlich jeden erdenklichen Reiterhof. Es war eine schöne, eine leichte Zeit voller lustiger Anekdoten. Wir haben noch an seinem Sterbebett davon erzählt, und das ist wertvoller als jedes materielle Erbe.
Ein Reiterhof bei Münster und ein kleines Café, mitten auf einem Blumenfeld im Osnabrücker Land erbaut und 2010 eröffnet, wurden sein zweites und sein drittes Wohnzimmer. Viele Jahre war er mit Lily und mir dort. Den Kontakt zu Moers, besonders zum Alten Hülsdonker Friedhof, hielt er lange aufrecht. Mit dem Zug fuhr er regelmäßig von Münster aus zum Grab seiner Frau, meiner Mutter.
Wie wichtig ihm diese Reisen waren, zeigte mir ein kleines, silbernes Kästchen. Es enthielt neben seiner Bahn Card jede einzelne Fahrkarte. Dass er auf jeder seiner Reisen in die eigene Vergangenheit nicht zuletzt in Duisburg umsteigen musste und am Hauptbahnhof ein bisschen Heimat atmen konnte, gehörte für ihn genauso dazu wie ein Zigarillo in der Wartehalle.
Nun könnte man meinen, das alles seien Zeichen einer weltmännischen Attitüde gewesen.
Doch in Wirklichkeit war mein Vater ein stiller, zurückgezogener Mensch, der sich seit seines Lebens gewünscht hätte, etwas mehr aus seiner Haut fahren zu können. Er hatte nämlich durchaus Genialisches, machte zwei große Erfindungen – eine davon war Mitte der siebziger Jahre der Vorläufer der heute weit verbreiteten Navigationssysteme. Ein anderes Patent sollte Ende der achtziger Jahre dafür sorgen, dass alte technische Zeichnungen in das anbrechende Zeitalter der Digitalisierung überführt werden konnten.
Reich wurde er damit nicht, es mangelte an Partnern, Mitstreitern – an Antreibern, die mit ihm kraftvoll an einem Strang gezogen hätten. Er fand sie nicht, und ich war viel zu jung, um etwas wirklich Sinnvolles zum Gelingen beizutragen. So lebte mein Vater bis zu seiner Frühpensionierung 1999 ein einfaches Leben, arbeitete bei einem Moerser Energieversorger im Technischen Büro, erlitt in der Osternacht 1999 in der Basilika von Kevelaer einen Schlaganfall – und kämpfte sich trotz allem bis zu seinem 85. Geburtstag am 17. September 2021 immer weiter.
Dann begann eine Zeit, in der er schwächer und schwächer wurde, zunehmend Hilfe benötigte – meine Hilfe. Irgendwie gelang es mir, ihn wie in einem Hindernislauf durch alle Instanzen zu bringen: von dem einen Krankenhaus in die Geriatrie, von dort ins Marienheim nach Hiltrup – bewusst in die unmittelbare Nähe seines Lebensmittelpunkts seit 2013 – und von dort aus am 1. November, an Allerheiligen, an den Endpunkt, in die Raphaelsklinik zu Münster. Er verstarb dort am 13. November 2022 in meinem Beisein.
Als ich wenige Tage später bereits seine letzte Bleibe im Marienheim wieder einräumen musste und mir dabei wie ein Messebauer nach einer Ausstellung vorkam, sprach mich die Dame an, die ihn am 15. Juni 2022 in Empfang genommen hatte. Sie sagte: “Ihr Papa war ein lieber Mensch”, und damit hatte sie Recht. Ich hätte mir als junger Heranwachsender manchmal zwar gewünscht, er hätte die Fähigkeit besessen, mehr mit der Faust auf den Tisch zu schlagen und auch einmal “nein” zu sagen, aber er konnte eben keiner Fliege etwas zuleide zu tun.
Er war bis zum Schluss mehr ein lieber Freund, mit dem ich von 1976 an unsere schönste gemeinsame Zeit an den Rennstrecken verbracht habe. Für mich war das für mein weiteres Leben prägend, und noch 2007 waren wir zusammen am Nürburgring. Es gab da so einen Moment, dessen Tragweite mir damals, im Spätsommer 2007, nicht ganz bewusst war. Der eigentliche Renntag war schon lange vorbei, da machten wir noch einmal einen Abstecher nach ganz oben an den Wehrseifen, an die alte Nordschleife, setzten uns dort, wo wir von 1980 an so viele schöne Stunden – und auch Tragödien – erlebt hatten, einfach ins Gras.
Kein Auto fuhr mehr dort, nur ein paar Vögel zwitscherten, die Sonne senkte sich ganz langsam und färbte die Straße vor uns goldgelb. “Schön hier”, sagte er auf einmal in die Stille hinein, und da lag ein Hauch von Abschied in der Luft. Wir sind nie wieder dort gewesen – nicht nur, weil nun Schul- und Reiterhöfe den Raum einnahmen. Unsere Zeit dort oben in der Eifel war abgelaufen, und sie kam nie zurück.
Die Zeit mit den Menschen, die prägend sind für uns, kennzeichnend und wegweisend, kommt selten zurück. Was bleibt, sind Bilder … und alte Fahrkarten eben.
Meinen Vater werde ich als einen lieben, einfachen, zurückgezogenen Menschen in Erinnerung behalten, der sich stets die Ohren zuhielt, wenn andere allzu laute Töne anschlugen. Was für ein Unterschied zu der Welt, in die ich mich dann von 1986 an aufgemacht habe! Das Erste, was mir damals auffiel? Nun, die Leute waren so ganz, ganz anders als zuhause … und lange kam ich damit so gar nicht zurecht.
Wir werden uns wiedersehen, alter Freund!