Performance Check // 1990er Porsche 911 Carrera 2 (Typ 964) mit egmo-Sportmotor (4.2 Liter)
Was haben der Schweizer Renntourenwagen-Alchimist Ruedi Eggenberger, der deutschstämmige Motorenexperte Lothar Rothenheber und die Eiger-Nordwand miteinander zu tun? Erst einmal nichts, werden Sie vielleicht denken. Doch weit gefehlt: Eine Zeitreise an die Stätte ruhmreicher Rennerfolge galt zunächst der Begegnung mit einem neu entwickelten Porsche-Sportmotor mit Gebläse-Luftkühlung. Als wäre das, für sich allein betrachtet, nicht schon beeindruckend genug gewesen, tauchte am Ende des Tages am Horizont plötzlich eine mächtige Gebirgskette auf. Konnte es wirklich sein, dass das Dreigestirn der Berner Alpen aus über 100 Kilometern Entfernung sichtbar sein würde? Die Auflösung: in dieser Geschichte aus Lyss im Berner Seeland.
Giganten
Große Hubräume, große Berge, eine große Kurbelwelle und ein großes Erbe: Begegnungen mit dem Vierliter-Sportmotor der Marke egmo.
Vorgeschichte, erster Teil: Der Meistermacher, er legt sich noch einmal, ein letztes Mal, unter sein Lebenswerk.
Sonntag, 13. August 2017: Auf dem Nürburgring findet der 45. AvD-Oldtimer-Grand-Prix statt. Einer der Höhepunkte neben dem Revival der Deutschen Automobil-Rennsportmeisterschaft: ein 40-minütiges Rennen klassischer Tourenwagen aus der Blütezeit der DTM und den Langstrecken-Wettbewerben der Gruppe A. Ruedi Eggenberger prägt diese Ära mit Werkseinsätzen für Volvo, Ford und Opel. Besonders seine „Schwarzen Teufel“, die Ford Sierra RS500 Cosworth, sind von 1987 bis 89 in aller Welt gefürchtet. Beim 24-Stunden-Rennen von Spa-Francorchamps 1989 werden die mehr als 500 PS leistenden Vierzylinder-Turbos in den Farben der einheimischen Zigarettenmarke Bastos umgestaltet. Bernd Schneider, Gianfranco Brancatelli und Win Percy siegen, ihre Teamkollegen Frank Biela, Thomas Lindström und Eddy Joosen kommen auf den dritten Rang – der totale Triumph für „Eggi“, den Schweizer Meistermacher aus Lyss im Berner Seeland. 28 Jahre später hat der Engländer Paul Linfoot das Originalfahrzeug nicht nur erworben, sondern auch an den Nürburgring transportiert. Er lädt „Branca“ als Originalfahrer und Ruedi Eggenberger ein, dem Ereignis beizuwohnen – und beide sagen zu. Während der Italiener wie gewohnt beherzt ins Lenkrad greift, wirft sich der 78-jährige Eidgenosse Minuten vor dem Rennen noch einmal unter sein altes Auto, um ein letztes Problem zu lösen. Vielleicht lebt er in diesem Moment noch einmal auf. Am 9. Februar 2018, zwei Tage nach seinem 79. Geburtstag, erfährt die Rennsportwelt, dass der Meistermacher überraschend verstorben ist. Sein Lebenswerk führt der Deutsche Lothar Rothenheber weiter. 2005 gründet er mit seinem bisherigen Arbeitgeber die Eggenberger Motorenbau AG, kurz egmo. Der Mitte der achtziger Jahre neu errichtete Gewerbebetrieb in Lyss bleibt in seiner ursprünglichen Form erhalten – ein Museum des Tourenwagen-Rennsports einerseits, ein moderner Hochpräzisions-Betrieb andererseits.
Vorgeschichte, zweiter Teil: nur auf den ersten Blick ein Relikt aus der Postmoderne des Tourenwagen-Werkssports.
Freitag, 13. August 2021: Ortstermin im schweizerischen Lyss. Warm ist es draußen, noch etwas diesig vom Schönwetterdunst über dem Berner Seeland. Das Eckgebäude am Industriering 51 wirkt wie ein Bote aus einer anderen Zeitrechnung: postmodern und einladend zugleich. Das Tor zur Werkstatt ist weit geöffnet, ruhig und konzentriert geht es dahinter zu. Dem Fußboden ist anzusehen, dass hier schon so mancher Siegerwagen den Weg nach draußen gefunden hat. An der stählernen Tür zu einem der Prüfstandsräume hängt ein 1987 gedrucktes Plakat – eine von Künstlerhand gezeichnete Karrikatur mit der Überschrift „We are the World Champions“. Ruedi Eggenbergers „Schwarze Teufel“, die Ford Sierra RS500 Cosworth, sind dazu ebenso dargestellt wie ihre Volanteure. Während Klaus Ludwig und Namensvetter Niedzwiedz hinter ihren aufgesetzten Helmen zurückbleiben, hält der Belgier Pierre Dieudonné seinen sauber gescheitelten Blondschopf zum Gruß aus dem Seitenfenster. „Herrliche Zeiten!“, möchte man beim bloßen Anblick ausrufen, und weiter hinten, in einem Werkraum mit langen Arbeitstischen, liegt ein passender Rumpfmotor: ein Vierzylinder-Cosworth-Turbo mit rot gepulvertem Ventildeckel. „Natürlich machen wir auch so etwas“, fügt Lothar Rothenheber der Szenerie hinzu, kommt dann aber sofort auf sein eigentliches Filetstück zu sprechen: eine Kurbelwelle. „Heb die doch mal hoch“, fordert er zu etwas auf, was sich zunächst nach einer Kraftprobe anfühlt. Als sich das kostbar scheinende Teil dann aber ohne große Muskelkraft in die Höhe befördern lässt, sieht der feingliedrige Hesse hochzufrieden aus. „Geht ganz leicht, oder?“, will er wissen – und nimmt die Antwort bereits vorweg. Natürlich ist diese sehr spezielle Kurbelwelle extrem leicht, denn sie ist das Nonplusultra im Streben nach mehr Hubraum im Sechszylinder-Boxermotor des Porsche-Typs 964. Und: Sie ist eine komplette Eigenentwicklung der Eggenberger Motorenbau AG, eben egmo. Warum man so etwas macht?
Vorgeschichte, dritter und letzter Teil: Irgendwann ist Schluss, auch für große Pioniergeister. Oder etwa doch nicht?
„Du musst Dich halt manchmal von Dogmen oder Lehrmeinungen befreien“, setzt Lothar Rothenheber zu einer Erklärung an, „und dann bringst Du Lösungen, die Du vielleicht vom einem VW Käfer im Dragstersport kennst, mit etwas ganz anderem zusammen und stellst fest, dass es zusammenpasst. So war es auch beim EGMO-Motor für den Porsche-Typ 964, zu dem Urs Erbacher den Impuls gab. Ja, da haben wir dann losgelegt und am Ende etwas erreicht, wir nicht für möglich gehalten hätten.“ Man stelle sich das einmal vor: Während 1993 im Sechszylinder-Saugmotor aus dem Werks-Kundensport von Porsche 3,8 Liter Hubraum und 102 Millimeter Bohrung als Maß der Dinge galten, gelten heute 105 Millimeter und 4,3 Liter Hubraum als die neue Obergrenze. „Dann ist aber wirklich Schluss“, erläutert Rothenheber, „aufgrund der im Original-Kurbelgehäuse gegebenen Abstände ist eine größere Bohrung als 105 Millimeter nicht möglich.“ Fast im gleichen Atemzug kommt er dann auf eine nicht ganz so extreme Variante zu sprechen: „Wir bauen gerade für einen guten Kunden einen Motor mit 105 Millimetern Bohrung und der Kurbelwelle aus dem 997 GT3 RS 4.0 zusammen – in zwei Monaten ist der fertig, dann lohnt sich eine Probefahrt. Bei 80,4 Millimetern Hub kommen 325 PS heraus. In diesem Fall geht es bewusst nicht um Superlative“, heißt es in einer Mundart, die alles ist, bloß nicht das ortstypische Schwyzerdütsch. „Unser Freund hat eine normale Ansauganlage und eine genauso unauffällige Abgasseite gewollt. Bei so einer Konfiguration geht es um innere Werte, um eine saubere Mechanik und um sehr viel Fahrspaß.“ Der Vortrag hat die Neugier geweckt, zumal die unischwarze Basis mit geöffneter Motorhaube in der Werkhalle wartet: der sprichwörtliche Wolf im Schafspelz, ein Carrera 2 aus den anbrechenden neunziger Jahren. Und so wird flugs ein Wiedersehen für den 19. Oktober – in etwas mehr als zwei Monaten – vereinbart. Bis dahin soll alles am richtigen Platz sein.
Ein Sonntag im Oktober: von plötzlichen Sonnendurchbrüchen und ebenso plötzlichen Leistungsausbrüchen.
Wie kaum anders zu erwarten, ist der 1990 an den Erstbesitzer ausgelieferte Porsche zum vereinbarten Termin fertiggestellt. Die Motorsport-Saison 2021 ist eine Woche zuvor auf dem Norisring auf spektakuläre Weise zuende gegangen. Allmählich breitet sich der Herbst aus, auch in Lyss. Vormittags ist der Himmel bedeckt, Zeit für einen weiteren Werkstattbesuch. Den Carrera 2, der als Neuwagen ohne Zylinderkopfdichtungen ausgeliefert worden ist, hat eine Arbeitsbühne in Richtung Hallendecke abheben lassen – auch von unten betrachtet eine saubere Sache. Die Abgaskrümmer sind mit einer dunkelgrauen Keramik-Beschichtung versehen, alles wirkt überaus professionell verarbeitet. Dasselbe trifft auf den Blick in den Motorraum zu, hier fällt am meisten das goldene Kühlgebläse-Lüfterrad auf – ein Lichtblick an einem ansonsten trüben Tag, am Ende vielleicht der einzige? Nachdem sich die Wetterlage nicht zu verbessern scheint, geht es hinaus zum ausgewählten Foto-Platz in der Nähe. Ein leuchtend gelber Zaun umrahmt das Areal, weiße Männchen sind auf den Boden gemalt worden – an betriebsameren Tagen bestimmen sie vermutlich die Laufrichtung der Menschen. Plötzlich fällt ein warmer, heller Sonnenstrahl auf die Karosserie. Der Himmel reißt auf, noch einmal kommt spätsommerliche Stimmung auf, wie schön! Lothar Rothenheber beginnt, aus dem Nähkästchen zu plaudern: „Bis auf die Kurbelwelle befindet sich dieser Motor auf dem Stand unserer großen 4.3-Liter-Version. Die ursprünglich einmal fehlenden Zylinderkopfdichtungen sind durch unser hauseigenes egmo-Dichtsystem ersetzt worden, in dieser Hinsicht kann nichts mehr passieren.“ Und die Leistungsdaten? „Bei 4.900 Umdrehungen wird das maximale Drehmoment erreicht, und das beträgt 422 Newtonmeter. Das wirklich Schöne an dieser 325-PS Version ist die Leistungsentfaltung!“ Die Kraft, so Rothenheber weiter, werde an ein inzwischen recht seltenes Sechsgang-Schaltgetriebe der Generation 993 weitergegeben – mit deutscher Übersetzung. Diese Randbemerkung ist wichtig, denn die Gangstufen drei bis sechs sind in der Schweiz länger übersetzt.
Offenbarungen am Nachmittag: auf die Wucht der Beschleunigung folgt die Allmacht hoher Berge.
Schließlich sind die Stills im Kasten. Was jetzt noch jetzt, sind ein Fahreindruck und bewegte Bilder. Der Weg führt aus Lyss heraus auf eine Ebene mit einem Flugplatz. Die Straße ist durchsetzt von Verteilerkreisen: für Lothar Rothenheber offenbar eine Einladung, den mechanisch vor sich hin tuckernden Sechszylinder-Boxer mal so richtig hochleben zu lassen. Die Fuhre erwacht zum Leben – und wie: Mit infernalischem Vortrieb bricht der äußerlich distinguierte Neunelfer zum Leben. Da eröffnet sich eine andere Dimension, eine andere Welt: wohl dem, der das nach einem langen, öden Bürotag erleben darf. Die Kraft explodiert regelrecht, und nein: Das ist kein Turbo! Die verbleibende Distanz zu den Anbremspunkten vor den Verteilerkreisen wird kürzer und kürzer, wie in einem Zeitraffer purzeln Meter und Sekunden: Das ist irre, gigantisch! Jetzt erst wird deutlich, was König Kunde sich da gewünscht hat: äußerlich ein Biedermann, entpuppt sich das Teil als Brandstifter. Freilich sind noch die Fahraufnahmen zu fertigen, und auf der Stelle muss wieder Ruhe einkehren! Das funktioniert nur für einen kurzen Moment. Denn einmal ausgestiegen und ein paar Schritte zu Fuß gegangen, um die richtige Distanz zum Objekt zurückzulegen, sind da am Horizont – weiße Berge: große, weiße Berge! Aber: Welche alpinen Zacken können das sein? Immerhin – wir sind vom Berner Oberland nur einen Steinwurf weit entfernt. Des Rätsels Lösung: ein Road Trip in den aufziehenden Abend hinein, vorbei an Bern und weiter nach Thun, an den Thuner See. Das Bergpanorama wird größer und größer, verschwindet wieder, kehrt wieder zurück, wird beherrschend – und droht, im letzten Licht des Abends endgültig abzutauchen. Da kann nur sofortiges Verlassen der Autobahn, die weiter nach Grindelwald führt, Abhilfe schaffen. Und tatsächlich: Am südlichen Ufer des Thuner Sees angekommen, erhebt sich in den Abendhimmel das Dreigestirn von Eiger, Mönch und Jungfrau. Daran besteht kein Zweifel. Härter könnte der Kontrast zum Erlebten kaum sein, zumal im Radio gerade ein Stück läuft, das „Mork n Mindy“ heißt, von der britischen Formation Sleaford Mods zum Besten gegeben wird und die Stimmung genau beschreibt.
Ende der Reise? Vermutlich ja, von hier aus geht es nicht weiter – sondern nur um den Thuner See: zurück an den Ausgangspunkt!
Verantwortlich für den Inhalt: Carsten Krome, netzwerkeins GmbH
werk1 tech data
die technische dokumentation in allen relevanten Details
Fahrzeugtyp: 1990er Porsche 911 Carrera 2 (Typ 964) mit egmo-Sportmotor (4.2 Liter)
Modelljahr: 1990 (L-Programm)
Karosserie (Serienumfang bei Werksauslieferung): 2-türige, 2+2-sitzige, selbsttragende Coupé-Karosserie aus beidseitig feuerverzinktem Stahlblech; Ausführung mit Stahl-Schiebedach
Motor (Werksauslieferung): luftgekühlter Sechszylinder-Boxer Typ M64/01; zwei Ventile pro Zylinder; eine Nockenwelle je Zylinderbank (ohc); Antrieb über Doppelkette
Aufbau des Motors (Eggenberger Motorenbau AG): komplette Revision; Umbau auf 4.200 ccm Hubraum; egmo-Kurbelwelle aus 997 GT3 RS 4.0 (nachgearbeitet); egmo-Kolben und -Zylinder; egmo-Stahlpleuel im I-Profil; Ölpumpe Typ GT3 RS; Kurbelwellen-Gehäuse bearbeitet und verstiftet; bearbeitete Zylinderköpfe mit großen Ventilen; egmo-Dichtsystem; egmo-Sportnockenwellensatz Typ 964 Straße; Umbau auf Luftmassenmessung; Abstimmung der Motorsteuerung auf dem egmo-Prüfstand
Gemischaufbereitung (Werksauslieferung): über Bosch-Motronic 2.1 elektronisch geregelte, sequenzielle Einspritzung
Zündung (Werksauslieferung): über Bosch-DME kennfeldgesteuerte Doppelzündung
Ansaug-/Abgasanlage (neu): auf Kundenwunsch im Originalzustand; durch Dieter Weiss auf 100 cpsi geänderter Katalysator
Ölmenge (Werksauslieferung): 11,5 Liter
Hubraum (Werksauslieferung): 3.600 ccm
Bohrung x Hub (Werksauslieferung): 100 x 76,4 mm
Hubraum (neu): 4.200 ccm
Bohrung x Hub (neu): 105 x 80,4 mm
Verdichtung (neu): 11,5 : 1
Motorleistung (Werksauslieferung): 250 PS bei 6.100/min
Motorleistung (neu): 325 PS bei 5.800/min
maximale Drehmomente (neu):
322 Nm ab 2.200/min
422 Nm bei 4.900/min
346 Nm bei 6.000/min
Kraftübertragung (Werksauslieferung): Fünfgang-Schaltgetriebe Typ G50; Heckantrieb
Kraftübertragung (neu): Umbau auf Sechsgang-Schaltgetriebe (aus 993; Stahl-Synchronringsatz; Drexler-Sperre (40/55); RS-Schwungrad; verstärkte Kupplung) mit folgenden Übersetzungs-Änderungen:
1./2. Gang: 993 RS
3.-6. Gang: 993 Deutschland
Bremsanlage (Werksauslieferung): Leichtmetall-Vierkolben-Festsättel; innenbelüftete Scheiben
Bremsanlage (neu): Umbau auf 993 biturbo vorn; Umbau auf 911 (964) turbo hinten
Radaufhängungen (neu, vorn): einzeln an Leichtmetall-Querlenkern und KW-Gewinde-Federbeinen (Variante 3) mit individuell abgestimmter Federrate; Einstellung der Radlast einschließlich Fahrergewicht und optimierter Lenkgeometrie für Straßenreifen; Umbau der vorderen Achsschenkel und Radlager auf 993 RS; Stabilisator
Radaufhängungen (neu, hinten): einzeln an Leichtmetall-Schräglenkern und KW-Gewinde-Federbeinen (Variante 3) mit individuell abgestimmter Federrate; Stabilisator
Räder & Reifen (neu): Fuchsfelgen (7J x 17 ET55 vorn und 9J x 17 ET55 hinten) mit Michelin (205/50 ZR17 vorn und 255/40 ZR17 hinten)
Interieur: aufgearbeitete Original-Ausstattung mit turbo-Sitzen
Leergewicht nach DIN 70020 (Werksauslieferung): 1.350 kg
Höchstgeschwindigkeit: 260 km/h (Werksauslieferung)
Beschleunigung (Werksauslieferung, 0 – 100 km/h): 5,7 sec.