20. Arosa Classic Car (29.08. – 01.09.2024): Jubiläums-Runde in den Bergen Graubündens.

Wer stoppt Thomas Amweg? Falls diese Frage im Vorfeld des 20. Arosa Classic Car-Bergrennens überhaupt irgendjemanden beschäftigt haben sollte, hätte die Antwort gelautet: niemand. Zwar wechselte der Rekordsieger und Rekordhalter aus Ammerswil wieder einmal das Einsatzfahrzeug, zu halten war er aber auch diesmal nicht. Mit einem March 752, einem Formel 2-Monoposto des Jahrgangs 1975, dominierte der Vizemeister der Schweizer Bergmeisterschaft 2024 bereits zum achten Mal das Geschehen – für den Aargauer auch ein Stück Therapie. Im aktuellen Bergrennsport mit dem zweisitzigen Nova Proto ohne eine echte Siegchance, revanchierte er sich mit dem Originalfahrzeug eines berühmten Schweizer Landsmanns. Überhaupt ging es auf der 7,3 Kilometer langen Strecke mit 422 Metern Höhendifferenz und 76 Kurven mehr als sonst um große Namen. Wir haben uns im mondänen Wintersportort auf 1.775 Metern Meereshöhe umgesehen.

Sie nannten ihn Spätbremser. Das stand einst in einem Nachruf auf den Schweizer Rennfahrer Jo “Seppi” Siffert, der 1971 in Brands Hatch tödlich verunglückte. Der Eidgenosse, der im Porsche 917 zur Legende wurde, beschäftigt seine Landsleute bis heute. Porsche Schweiz widmete ihm 2024 ein einmaliges Sondermodell, eine Hommage in Form eines aktuellen 911 GT3 RS mit Stilelementen aus Sifferts Karriere – ein auffälliges Sammlerstück, das inzwischen einen Privatmann als wertschätzenden Besitzer gefunden hat. Im Fahrerlager von Arosa konnten die wie gewohnt zahlreich erschienenen Besucher das grün-weiße Editionsmodell aus nächster Nähe in Augenschein nehmen. Aber nicht nur das. Denn am Samstag brachte der zweimalige Rallye-Weltmeister Walter Röhrl noch mehr Glanz in die Hütte. Der Maestro und Markenbotschafter aus Sankt Englmar zog die Menschen in seinen Bann, sorgte für lange Warteschlangen und beglückte seine Anhängerschar mit Signaturen auf fast allen erdenklichen Untergründen bis hin zum Lippenstift. Am 24. Mai war Walter Röhrl beim gleichen 1.000-Kilometer-Rennen auf dem Nürburgring unterwegs gewesen wie sein Schweizer Porsche-Markenkollege Herbert Müller. Doch der damals 41-jährige Herbert Müller, “Stumpen Herbie” genannt, teilte mit Jo Siffert das Schicksal und fand an jenem Sonntag den Rennfahrertod. An den Rotschopf aus Reinach erinnerte in Arosa eine Schautafel mit historischen Archivbildern. Sie dokumentierten ein weniger bekanntes Kapitel seiner 20 Jahre währenden Karriere als Profi. Ein March 752 der Formel 2, ein Monoposto in den Sponsorfarben eines Magenbitters, Jahrgang 1975 – auch damit ist Herbert Müller an den Start gegangen. Daran erinnerte Thomas Amweg, der im vergangenen Jahr mit einem BMW Ralt RT1 des Jahrgangs 1978 wieder einmal alles in Grund und Boden gefahren hatte. Der 39-jährige Sohn des Bergkönigs Fredy Amweg kam als siebenmaliger Gesamtsieger und Halter des Streckenrekords in die Bergwelt Graubündens. Obwohl sein Renngerät nochmals drei Jahre älter war als der gelb-weiße Ralt, galt der Familienvater einmal mehr als Favorit Nummer eins.

Florian Feustel wollte das nicht gelten lassen. Der Rheinländer, seit einigen Jahren im Kanton Schaffhausen als selbstständiger Restaurateur niedergelassen, richtete für die 20. Auflage des alpinen Happenings von Arosa eigens ein extremes Leichtgewicht her, ein Zitat des RSR 2.8 von Porsche. Im Sonnenlicht zeigte sich, das die im “Camel-Gelb” lackierten Karosseriebauteile ein wenig transparent durchschimmerten – ein Novum in der historischen Szene. Als der Sechszylinder-Boxermotor erstmals warmlief, überraschte obendrein die Akustik. Sie erinnerte an den Doppellader mit Horizontalgebläse, wie ihn auch Herbert Müller 1981 bei seinem letzten Rennen nutzte. Feustel jedoch schwor, ohne Turbo-Aufladung unterwegs zu sein und lediglich ein Aggregat mit kurzer Halbwertzeit zu bedienen. Originalzitat: “Ich darf den Motor im Stillstand nicht allzu lange laufen lassen – der nächste Revisionsintervall ist schnell erreicht.” Aha? Jedenfalls begann das Wochenende in Arosa mit einem klassischen Fehlstart, für den der Siegwärter in der “Competition”-Kategorie nichts konnte. Vor ihm benötigte der blaue Sauber C3 des Einheimischen Daniel Mauerhofer eine externe Staterbatterie. Einmal abgezogen, blieb der kleine Energiespender auf dem Startplatz zurück, was Florian Feustel aus seiner Perspektive nicht sehen konnte. Er überfuhr die Batterie, diese blieb unter dem vorderen Querlenker stecken – versaut war der freie Trainingslauf. Den Volanteur stachelte das Missgeschick noch mehr an, so dass er im ersten gezeiteten Trainingslauf spektakuläre 4:27.635 Minuten vorlegte – nur sieben Sekunden als Amwegs Top-Zeit in der höheren “Competition Formula”-Kategorie für Formel-Fahrzeuge und zweisitzige Rennsportwagen. Mit dieser ersten Standortbestimmung zeigte sich ein Trend, der sich über gesamte Wochenende einschließlich einem Wettereinbruch am Rennsonntag halten sollte: Amweg und Feustel in ihren jeweiligen Klassen unbezwingbar, in der Gesamtwertung jedoch ein gutes Stück voneinander entfernt. “Man braucht wohl doch einen reinrassigen Prototypen mit noch weniger Gewicht, um die Monopost0 herauszufordern – und eben keinen Produktionswagen”, orakelte Feustel bereits am Samstag.

Zu diesem Zeit war ein anderer Mitfavorit auf den Gruppen- und Gesamtsieg schon ausgeschieden: Fabio Scherer, LMP2-Sieger bei den 24 Stunden von Le Mans 2023 und DTM-Pilot in der Corona-Saison 2020 auf Audi. Wie bereits im Vorjahr stellte Urs Erbacher dem jungen Profi aus Engelberg einen in Italien angekauften Porsche zu Verfügung – äußerlich ein RSR 3.0 der Jahrgänge 1974/75, in Wirklichkeit aber ein leichtgewichtiges F-Modell der anbrechenden siebziger Jahre mit entsprechendem Sonderaufbau. Würde er damit Florian Feustel oder gar Thomas Amweg gefährden können? Theoretisch schon, doch der Gebrauchtwagen aus Bella Italia hält nicht lange. Kurz vor der Ziellinie detonierte im Freitagstraining der Motor ohne ein ersichtliches Hinzutun des geschockten Fahrers, ging in Flammen auf und lieferte hochdramatische Bilder. Wie eine Fackel brennend, rollte der weiß-blaue GT-Bolide in der Auslaufzone aus. Wie kaum anders zu erwarten, war eine schnelle Reparatur an Ort und Stelle undenkbar. Fabio Scherer erhielt zwar ein Ersatzfahrzeug, er musste damit jedoch außer Konkurrenz im Feld 3, der Show-Kategorie, antreten. Ziele der Übung: Präsenz zeigen, Streckenkenntnisse vertiefen, vielleicht auch das Erlebte verarbeiten. Freilich war er damit raus aus dem Rennen um den IWC-Chronographen, der traditionell dem Gesamtersten gebührt. Thomas Amweg verwaltete wieder einmal seine Führungsrolle, auch wenn seine Bestzeit in 4:11,113 Minuten um fünf Sekunden langsamer sein würde als seine Rekordzeit, mit dem dreizehn Jahre jüngeren BMW Martini Mk50 Formel 2 seines Vaters Fredy Amweg vorgelegt. Dreizehn Entwicklungsjahre – im Rennsportwagenbau eine Ewigkeit – waren auch bei der 20. Durchführung von Arosa Classic Car nicht wegzudiskutieren. “Natürlich verdient der historische March 752 Respekt”, stellte Amweg unumwunden fest, “damit geht man nicht ans äußerste Limit, sondern lässt sich Reserven.” Schließlich fügte er hinzu: “Mit dem Nova Proto in der Schweizer Meisterschaft in mein Mindset ein anderes, da geht es um harte Competition, um das absolut Machbare.” Trotz dieser Konsequenz unterlag er im roten Rennsportwagen, der früher einmal Norma M20 geheißen hat, dem helvetischen Dauersieger Robin Faustini. Dominanz in Arosa als eine besondere Form der Therapie, der Frustbewältigung? Amweg zog diesen Gesichtspunkt nicht in Zweifel, er fand hingegen: “Ein kluger Gedanke!”

Während er also zum achten Mal das Gesamtklassement abräumte und Florian Feustel den zweiten Gesamtrang mit minimalstem Abstand auf Lokalmatador Roger Moser mit einem BMW Martini Formel 2 feierte, stellte sich eine Frage: Welche Fahrzeuggruppen könnten integriert werden, um die Sonderstellung eines einzelnen Formel 2-Piloten zumindest aufzuweichen? Da drängt sich die Kategorie der offenen, zweisitzigen Sportwagen auf, die sich in Arosa auffallend schwach repräsentiert zeigten. Eine vielversprechende Ausnahme: Gian Vito Conigliaro mit seinem Pedrazza PRC W PR 60 des Jahrgangs 2012, angetrieben von einem 407 PS leistenden Sechszylinder-Saugmotor. Der bildschöne Rennsportwagen jüngeren Datums war wie schon in den vergangenen Jahren in der Demonstrationsklasse dabei und damit auch nicht von der Zeitnahme berücksichtigt. Dabei ist die Geschichte der offenen Zweisitzer am Berg mindestens so lebendig wie die Legende der Monoposti mit ihren freistehenden Räder – und wer würde sich nicht gern an alte Meister wie den Italiener Mauro Nesti mit seinem himmelblauen Osella PA 9 BMW erinnern? Mag sein, dass eine entsprechende Kultur in den kommenden Jahren aufkommen könnte. Die bisherigen Seriensieger dürften sich aufkommende Konkurrenz freuen, denn motorseitig bestünde Gleichstand mit den Formel 1 von Thomas Amweg und Roger Moser. Den wohltuenden Einfluss neuer Kombattanten unterstrich Patrik Herzig, der sich in der Competition-Formel mit einem eher außergewöhnlichen Porsche 944 turbo Cup die Ehre gab und auf den dritten Klassenrang hinter Florian Feustel und dem Ford-Piloten Camillo Schorno kam – vier, beziehungsweise fünf Plötze vor seinen alten Kumpels Beat “Duschi” Duschletta und dem “Roten Porsche-Peter” Huber. Einst tollten die drei Freunde mit ihren Zitaten des RSR 2.8 durch die Schweizer Seite der Bodenseeregion, zierten die Titelseiten einschlägiger Magazine. Patrik Herzig scherte aus dem RSR-Triumvirat aus und stieg in einen in vielerlei Hinsicht weniger anspruchsvollen Cup-944er um: eine weise Entscheidung zugunsten des flüsternden Turbo-Coupés mit der fast ausgeglichenen Gewichtsverteilung zwischen den beiden Achsen – und das Ende eines Dogmas, das Turbomotoren aufgrund ihres Ansprechverhaltens am Berg angeblich nicht die ersten Wahl sein sollen. Im aktuellen Bergrennsport beweisen die kleinen 1.7-Liter-Turbomotoren in der Königsklasse der offenen, zweisitzigen Prototypen zurzeit das genaue Gegenteil: Zeichen der Zeit, die in Arosa durchaus Potenzial hätten, in den historischen Sport übersetzt zu werden. Zeichen der Zeit – und die Zeit steht niemals still, auch wenn sich das in der Bergwelt Graubündens manchmal ganz anders anfühlt, wenn die Patina vergangener Tage im Sonnenschein in neuem Glanz erstrahlt. Die kommende, 21. Auflage findet vom 4. bis 7. September 2025 statt.

Verantwortlich für Inhalt und Fotografie: netzwerkeins GmbH, Carsten Krome

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