45 Jahre Porsche 935 turbo (1976 – 2021): Warum es sich für Porsche als eine glückliche Fügung herausstellte, dass die 24 Stunden von Le Mans am 12. und 13. Juni 1976 nicht zur Marken-Weltmeisterschaft zählten, erfahren Sie im zweiten Kapitel unserer Fortsetzungsgeschichte.

1978-April-2-ADAC-Goodyear-300-Kilometer-Rennen-NuerburgringGanze zwei Wochen Vorbereitungszeit bis zu den 24 Stunden von Le Mans – nach dem Ausfall am 30. Mai 1976 auf dem Nürburgring erhielt der eigentlich von der FIA verbannte Heckdeckel doch noch eine Chance. Der Langstrecken-Klassiker an der Sarthe zählte nicht nur Marken-Weltmeisterschaft, und so galt auch das Dekret der Pariser Offiziellen nicht. Die Porsche-Werkspiloten Rolf Stommelen und Manfred Schurti erhielten Anweisung, den Turbo-Ladedruck von 1,5 auf 1,2 bar zurückzunehmen. Auf dem Hochgeschwindigkeitskurs standen so statt 590 PS immerhin 540 PS zur Verfügung, – genug für den Klassensieg in der Gruppe 5. Gleichzeitig führten die Porsche-Volanteure Jacky Ickx und Gijs van Lennep den 936 Spyder zum insgesamt dritten Triumph in der Unternehmensgeschichte.

Zurück zum 935er: Die Aerodynamik zeigte sich im Zusammenspiel mit der nicht mehr FIA-konformen Heckpartie einmal mehr in veränderter Konstellation. Großflächige, rechteckige Ausschnitte für doppelte Scheinwerfer kennzeichneten die Bugschürze. Verbesserte Sicht in den Nachtstunden war eine der Voraussetzungen für die Zielankunft an vierter Gesamtposition. Dabei zahlten sich die Erfahrungswerte aus, die der RSR turbo 2,1 lieferte. Van Lennep und Herbert Müller erreichten bei den 24 Stunden von Le Mans 1974 den zweiten Gesamtrang. Sie traten den Beweis an, dass das aufgeladene Triebwerk durchaus haltbar war. Im Herbst 1974 erzielte ein Versuchsträger auf dem Prüfstand 516 PS. Der Leistungszuwachs auf bis zu 590 PS im 935 turbo ergab sich aus dem um 715 ccm auf 2.857 ccm angehobenen Hubraum. Die vom RSR turbo 2,1 adaptierte, bewährte Anordnung des Ladeluftkühlers durfte in Le Mans noch einmal zum Tragen kommen. Die unter Zeitdruck zustande gekommene Konstruktionsänderung für die Marken-Weltmeisterschaft schien für die lange Distanz nicht hinreichend ausgetestet zu sein.

Eine Pionierleistung betraf die Federung. Nachdem im Carrera RSR zusätzliche Schraubenfedern die in der Serie vorgegebenen Drehstäbe zumindest außer Kraft setzten – ausgebaut werden durften sie nicht – brach der RSR turbo 2,1 dank seiner Einteilung in die Prototypen-Kategorie 1974 mit einem Dogma. Aus Gewichtsgründen entfiel die Drehstabfederung vollständig. Dreieckslenker aus dünnwandigem Stahl hielten die Räder an der Vorderachse. Für den 935er konnten diese Lenker, die nicht auf Biegefestigkeit ausgelegt werden mussten, übernommen werden. Während im RSR turbo 2,1 an der Hinterachse kastenförmig geschweißte Schräglenker zum Einsatz kamen, hatten im 935 die gegossenen Original-Aluminium-Schräglenker des 930 turbo im Fahrzeug zu verbleiben. Norbert Singer, der leitende Projektingenieur, ließ sich von dieser Vorschrift nicht beirren. Er kombinierte die Stoßdämpferbeine mit Schraubenfedern aus Titan. Beherrschbarkeit sollte das oberste Gebot sein, zumal im Viergang-Getriebe auf ein Differenzial verzichtet wurde. Der Durchtrieb war starr ausgebildet. Das bedeutete: Lenkrad und Gaspedal bestimmten jede Richtungsänderung im Gleichklang. Es schlug die Stunde der Spezialisten, die den instabilen Fahrzustand, das Driften über alle vier Räder, perfektionierten.

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Jacky Ickx und Jochen Mass bildeten das Team Nummer eins, bei den meisten Läufen zur Marken-Weltmeisterschaft 1976 saßen sie im Werkswagen mit der Fahrgestellnummer 935 670 002 R15. Rolf Stommelen und Manfred Schurti fiel mit dem Chassis 935 670 001 R14 die Sekundantenrolle zu. BMW hielt den Druck überraschend lange aufrecht. Die Konsequenz: Bei den abschließenden Punktrunden starteten stets zwei Porsche 935, in Watkins Glen steuerten Stommelen/Schurti 935 670 001 R14 zum Sieg. Damit war der Weg frei. Beim Saisonfinale im französischen Dijon machten Ickx/Mass alles klar. Sie gewannen und bescherten ihrem Arbeitgeber die Marken-Weltmeisterschaft. Zur Saison 1977 fiel auf sportpolitischer Ebene der Beschluss, die Deutsche Automobil-Rennsportmeisterschaft mit den Spezial-Produktionswagen der Gruppe 5 auszutragen. Eine Kleinserie für Kunden entstand. Dreizehn 935 auf dem technischen Stand von 1976 – jeder einzelne entsprach einem Gegenwert von 160.000 D-Mark – baute die Porsche-Kundensportabteilung auf. Das Porsche-Werksteam legte nach, der 935/77 nahm Gestalt an. Doch das ist eine ganz andere Geschichte.

Text: Carsten Krome Netzwerkeins

Fotos: Historisches Archiv Porsche AG, Carsten Krome Netzwerkeins

werk tech data: 1976er Porsche 935 turbo

Karosserie: Stahlblech, selbsttragend; mit Kunststoffteilen

Motor:  luftgekühlter Sechszylinder-Zweiventil-Boxer mit einzelnem Abgas-Turbolader; zwei obenliegende Nockenwellen mit Kettenantrieb; mechanische Bosch-Einspritzpumpe

Motorleistung: 590 PS bei 7.900/min

Hubraum: 2.857 ccm

Kraftübertragung: Viergang-Getriebe mit starrem Durchtrieb

Radaufhängungen: Schraubenfedern aus Titandraht; Dreieckslenker aus dünnwandigem Stahl an der Vorderachse; Original-Aluminium-Schräglenker des 930 turbo hinten

Bremssystem: innenbelüftete, gelochte Scheiben; bis 1978 aus vier Teilen zusammengesetzte Leichtmetall-Festsättel

Gewicht: 970 kg

Höchstgeschwindigkeit: 340 km/h

Fahrzeug-Identifikationsnummer (FIN): 935 670 002 R15 (im Fundus des Porsche-Museums, Stuttgart-Zuffenhausen)

Das fast vergessene Jubiläum: 45 Jahre Porsche 935 turbo (1976 – 2021), erster Teil – mit Hörprobe.

https://www.netzwerkeins.com/2021/12/28/das-fast-vergessene-jubilaeum-45-jahre-porsche-935-turbo-1976-2021-erster-teil-mit-hoerprobe/