Großstadt-Flair trifft Retro-Zeitgeist: Tribut an Raymond Touroul (F), den GT-Klassensieger der 24 Stunden von Le Mans 1971, und sein Porsche 911 S 2.2 Coupé.
Martini D’Oro – ein ungezähmter Charakter. Replika eines Porsche 911 S 2.2 Coupé.
1971 reüssierte der französische Privatier Raymond Touroul bei den 24 Stunden von Le Mans in der GT-Klasse. Sein Fahrzeug: ein nur mäßig verbreitertes Porsche 911 S 2.2 Coupé. Ein Düsseldorfer Gastronom griff einst das Stückchen Sportgeschichte auf und ließ es im eigenen Porsche 911 S 2.2 aufgehen. Denn der ist auf den Produktionsmonat August desselben Jahres zurückzuführen. Damals betrug der Hubraum 2.195 ccm, was einer Motorleistung von 180 PS bei 6.500/min entsprach – wohlgemerkt im Serientrimm. Sich wandelnde Regularien im Langstrecken-Rennsport drängten zur Weiterentwicklung. Zunächst kam eine Zwischenstufe mit 2.380 ccm. Bei deren Konstruktion waren bereits Ausführungen von bis zu 2,7 Liter vorgesehen. So erschien im August 1972 ein 2.687 ccm großer Sportmotor im Carrera RS 2.7 mit dem berühmten „Entenbürzel“. Ein solches Aggregat fand auch den Weg ins Fahrgestell unseres rheinischen Protagonisten: Paradebeispiel eines historisch belegbaren Technologie-Transfers.
Was bei Porsche auf den Namen Carrera hört, ist mit überdurchschnittlichen Fahrleistungen gesegnet. Das war schon immer so. 1972 zum Beispiel erschien der 911 Carrera RS 2.7 als Ausbaustufe des 911 S 2.4 mit einer Karosserie in Leichtbauweise, breiteren hinteren Radhäusern zur Aufnahme von Sieben-Zoll-Felgen und einem Heckspoiler, dem „Entenbürzel”, auf dem Motordeckel. Dieser sollte bei höheren Geschwindigkeiten den Auftrieb um 75 Prozent herabsetzen. Durch Aufbohren von 84 auf 90 Millimeter betrug der Hubraum 2.687 ccm, was bei mechanischer Benzin-Einspritzung über eine Sechsstempel-Pumpe 210 PS entsprach. Sportgesetze gaben den Ausschlag zur Entwicklung des Carrera RS 2.7. Für Renneinsätze waren neue Spielregeln formuliert worden, die nur durch entsprechende Grundmodelle wirklich effektiv genutzt werden konnten. Dieses Vorgehen ließ kleine Sonderserien in vorgegebenen Stückzahlen entstehen. 500 Exemplare besiegelten die Zulassung, sprich: Homologation, für internationale Renn- und Rallye-Wettbewerbe. Das galt auch für den neuen Carrera RS 2.7. Trotz bescheidener Ausstattung geriet der Puristen-Porsche zum Verkaufshit, der sich 1.580-fach reproduzierte. Daraus erwuchs eine Legende, die auch die vorherigen Modellgenerationen rückwirkend belebte. Die Nachrüstung auf RS-Niveau schien möglich zu sein, da die Konstruktion der Sechszylinder-Maschine mit einem zweiteiligen Kurbelgehäuse aus Magnesium-Guss Erweiterungen auf bis zu 2,7 Liter von vornherein vorsah.
Ein Paradebeispiel für einen solchen Technologie-Transfer erfreut in der Farbe „Blutorange” und gehörte einst Helge, einem Düsseldorfer Gastronom. Nach 15 gemeinsamen Jahren trennte er sich vom Elfer, um Platz zu schaffen für einen Carrera RSR 3.0. Eine Ergebnisliste des 24-Stunden-Rennens von Le Mans hatte ihn ursprünglich inspiriert. 1971 nämlich war es dem Franzosen Raymond Touroul geglückt, die GT-Kategorie im spärlich verbreiterten Porsche 911 S 2.2 Coupé zu gewinnen. Also sicherte sich der Rheinländer eine Basis aus August desselben Jahres. Doch dem 911 S 2,2 fehlte nach Diebstahl und anschließendem Leben im Untergrund der Original-Treibsatz. Der Zufall ließ Helge in die Arme eines einstigen Mitschülers laufen: Roland Heidl. Ihn bei dieser Gelegenheit vorzustellen, wäre müßig. „Muss ich mal im Lager nachsehen”, grübelte der Betreiber einer Düsseldorfer Porsche-Fachwerkstatt und wurde bald fündig. Einen RS-Boxermotor mit 210 PS aus 2.687 ccm förderte er zutage, dazu ein Fünfgang-Schaltgetriebe des seinerzeit üblichen Typs 915. Beides erfuhr eine Generalüberholung, die mechanische Kugelfischer-Einspritzung bedurfte einer Feinjustierung. Für den authentischen Klang verantwortlich: die Abarth-Vierrohr-Abgasanlage. Kerzengerade treten ihre Auspuff-Endrohre aus dem Heckblech hervor. Sie verbreiten ein Getöse, als wäre Raymond Touroul noch unter den Lebenden. Er ist es leider schon lange nicht mehr.
Bei nur 940 Kilogramm Gewicht war natürlich ein Höchstmaß an Agilität zu erwarten. Für Wettbewerbe hatten Sportbehörden den Porsche 911 S eigentlich mit 995 Kilogramm eingestuft. Wie weit sich dieser Wert unterbieten ließ, zeigte 1970 der 789 Kilogramm wiegende Rallyewagen von Gérard Larrousse. Seltene Materialien ermöglichten die Erleichterung. Viele dieser Erkenntnisse flossen auch in Helges (Straßen-)Renner ein, zum Beispiel eine urtypische Motorhaube aus Aluminium. Diese kommt ohne den berühmten „Entenbürzel” aus, obwohl eine fertig lackierte Vollversion bereitgestanden hätte. Die Erklärung liegt auf der Hand: Ohne zusätzlichen aerodynamischen Anpressdruck ist die Fahrt bei 200 km/h und mehr ein besonderes Erlebnis. Dass Lenkkorrekturen notwendig werden, versteht sich von selbst. Denn auch die Bereifung bescheidet sich vorn mit der Dimension 205/50-15 und hinten mit 225/50-15. Trotzdem mussten an der Hinterhand Verbreiterungen auf Stoß angeschweißt werden, um acht Zoll breite Felgen in den Radhäusern unterbringen zu können. Theoretiker mögen sich bitte vorstellen, dass am Momo-Volant so kundige wie zupackende Hände gefordert sind! Laut Tachometer-Anzeige sind 240 km/h erreichbar. Bereinigt dürfte sich das maximale Tempo vermindern. Einen nachträglichen Einfluss könnten zudem die zwei Cibié-Scheinwerfer vorn auf der Gepäckraumhaube ausüben.
In Le Mans gehörten sie einfach dazu. Denn damit schließt sich der Kreis, worauf ein blauer Scheibenaufkleber hinweist. Er zitiert jene 24 Stunden von Le Mans 1971, die Porsche mit dem 917-Magnesium-Coupé dominierte. Bahnbrechend war an diesem Zwölfzylinder-Boliden unter anderem die Bremsanlage gewesen. Zupackende Aluminium-Festsättel wurden zu einem Standard, etwas modernere Zangen werkeln am Lieblingsauto von nebenan. „Die Reaktionen sind durchwegs positiv”, weiß der (Ex-)Eigentümer zu berichten, „die Leute strecken den Daumen nach oben, wenn sie mich sehen. Dieses Flair, dieser Charme sind nur schwer zu übertreffen. Komisch ist, dass diesem Porsche der sonst so typische Hauch von Luxus überhaupt nicht anhängt”. Das mag vielleicht daran liegen, dass legere Erfolgstypen das Bild des Sportwagen-Besitzers in jenen Jahren prägten. Im Retro-Zeitalter hat dieser Wesenszug Wiederauferstehung gefeiert. Der leicht-lockere Takt der frühen Siebziger Jahre reißt die Menschen wieder mit, und dazu gehören eben auch ihre Autos. Dass rostfreie Leichtbau-Preziosen 120.000 Euro und auch mehr erlösen, sollte unstrittig sein. Dass sie ihr Geld bis auf den letzten Heller wert sind, ebenso. Das dürfte auch der Mann bestätigen, der nun in Helges Hinterlassenschaft sitzt. Selbst im August 1971 geboren, träumte er jahrelang von seinem automobilen Erfolgstyp in „Blutorange”.
Wie es die Fügung so wollte, stieß er im Spätsommer 2004 auf eine zwar nicht billige, schlussendlich aber günstige Gelegenheit. Denn wo sind sie sonst noch zu finden, die Charaktäre vom alten Schlag? Dass sie von Schattenseiten nicht frei sind, liegt in ihrer Natur begründet. Wer Dinosaurier meistern will, benötigt den Abstand vom Gedankengut der Hochtechnologie-Generation. Früher war die Welt zwar nicht besser, aber mindestens genauso (er-)lebenswert wie heute!
Fotografie (Nikon F 601 mit Diafilm): Carsten Krome Netzwerkeins
Text und Datenrecherche: Carsten Krome Netzwerkeins
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Fotografie: Carsten Krome, netzwerkeins GmbH
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