Das Gesicht der DTM mag sich im Laufe der Jahrzehnte verändert haben. Dasselbe gilt freilich auch für die Akteure selbst. Lach- und Mimikfalten kennzeichnen jene, die als Rennen fahrende Gründerväter in die Geschichte eingegangen sind. Sechs von ihnen greifen am Wochenende noch einmal ins Lenkrad. Auf dem Lausitzring bieten ihnen die Tourenwagen Classics den geeigneten Rahmen: ein Traditionsorchester im Rahmen der heutigen DTM. Carsten Krome sah sich in den Teamzelten inmitten des Fahrerlagers um.
Mit wachsamen Augen, scheinbar nur mäßig am Geschehen interessiert, schlendert Christian Menzel heran. Er schaut den Mechanikern des Teams 2.0 Automotive aus Düsseldorf über die Schulter. Zum zweiten Mal sind Sebastian Küppers, der operative Chef vom Ganzen, und sein Mitarbeiterstab dabei. Für sich selbst und ihren 1988 als Test-und Einsatzwagen genutzten BMW M3 E30 Gruppe A haben sie die Tourenwagen Classics ausgewählt – und für zwei Fahrer mit einschlägiger Vergangenheit. Menzel ist einer der beiden, Marc Hessel der andere. In der DTM als Rennfahrer aktiv gewesen sind sie beide. Während Christian Menzel, der jüngere von beiden, im Jahr 2000 an der neuen DTM mit einem Opel Astra V8 Coupé des Opel Teams Irmscher teilnahm, war Marc Hessel dreizehn Jahre vor ihm am Zug. Als junger Architektur-Student, noch in seinen ganz frühen Zwanzigern, erhielt der Bonner 1987 einen Vertrag im BMW-Junior-Team.
Inzwischen ist Marc Hessel neben Alexander Ferreira und Ralph Bahr einer der drei Initiatoren der Tourenwagen Classics, die ein stetig wachsendes Fanpotenzial hinter sich versammeln. Livestream-Übertragungen und ein klares Bekenntnis zur digitalen Kommunikation zählen den Besonderheiten der 2015 projektierten Rennserie. Christian Menzel und Marc Hessel nehmen erfolgsorientiert daran teil. Sie wollen nicht nur an die alten Zeiten erinnern, sondern ernsthaft Rennen fahren. Als sich ihr Teamchef Sebastian Küppers am Sonntagmorgen im Teamzelt mit zwei Rollen Klebeband bewaffnet, einer silbernen und einer weißen, verfolgen sie dies mit Argusaugen. Menzel legt den Kopf schief, schaut dem Technik-Gelehrten kritisch über die Schultern, als dieser den Wasserkühler nach allen nur erdenklichen abzudichten beginnt. “Wir kämpfen hier in der Lausitz um jedes Grad Celcius, das wir senken können. Im zweiten Qualifying waren wir darin schon sehr gut, aber wir wollen sicher gehen und über die 40-Minuten-Distanz kommen, denn es wird heiß!”
Dessen ist sich auch Olaf Manthey (63) bewusst, der in seinen Einsatzwagen aus der DTM 1986, einen BMW 325i des Revival Teams Vogelsang, zurückkehrt. Für das gesamte Wochenende steht ihm nur ein Satz neuer Reifen zur Verfügung – mehr gab es am Markt in dieser Größe nicht. Für den erfolgreichen Porsche-Teamchef, der Werkseinsätze bei den 24 Stunden von Le Mans verantwortet hat und an völlig andere Dimensionen gewöhnt ist, mag dies fast ein Kulturschock sein. Doch er genießt es auch, zur “Showbühne” gerufen zu werden, um sich dem heutigen DTM-Publikum zu zeigen und zusammen mit fünf seiner einstigen Fahrerkollegen fleißig Autogramme zu schreiben. “Eigentlich könnten wir ja auch zuhause bleiben, das Leben genießen. Meine Ehefrau Renate und ich sind seit 1978 überall auf der Welt an den Rennstrecken unterwegs”, erzählt er, der noch immer Berater und Gesellschafter bei Manthey-Racing ist. Das Unternehmen ist seit 2013 zu 51 Prozent im Besitz der Porsche AG und bietet inzwischen 154 Angestellten einen Arbeitsplatz. Wie selbstverständlich sagt Olaf Manthey: “Natürlich bin ich auf meiner geliebten Nürburgring-Nordschleife dabei, wenn die Tourenwagen Classics dort in einigen Wochen erstmals Station machen.”
Leopold Prinz von Bayern umgibt eine nicht ganz so volkstümliche Aura wie den Filterzigaretten-Liebhaber Olaf Manthey, der in einem früheren Abschnitt seines Lebens einmal Baggerfahrer war. Der Ur-Ur-Urenkel von König Ludwig I. ist BMW-Markenbotschafter, in dieser Eigenschaft aber nicht am Lausitzring zugegen. Vielmehr feiert auch er ein Wiedersehen mit einem Ex-Dienstwagen. Der Adelige, der in Berg am Starnberger See lebt, kehrt in seinen 1989 gefahrenen BMW M3 E30 zurück, den Udo Wagenhäuser aus Hassfurt mit vergleichsweise überschaubaren Budgetmitteln aufbaute und ab dem Flugplatzrennen Mainz-Finthen 1989 für Leopold Prinz von Bayern zu den DTM-Rennen brachte. Zu dieser Zeit war Harald Grohs, heute 74-jährig, im gleichen Fahrzeugtyp unterwegs – meist spektakulär, meist in den trüb ausgeleuchteten Grauzonen des Regelwerks. Davon erzählt der Essener heute noch, und dann klebt ihm auch Christian Menzel an den Lippen. Der Kelberger, inzwischen selbst Vater eines professionell Rennen fahrenden Sohnes, ist Bekenner “Nippel”-Fan: So nannte man Harald Grohs in den siebziger und achtziger Jahren.
Während auch Harald Grohs einen BMW M3 E30 steuert – übrigens den, in dem er 1987 schon einmal saß, hat sich Kurt Thiim, der “Dansky”, für einen Mercedes 190E 2.5-16 verpflichten lassen. Zusammen mit dem neuen Fahrzeugbesitzer Gerbert Luttikhuis teilt er sich exakt das Auto, mit dem er auf den Tag genau heute vor einem Jahr, beim Stadtrennen in den Straßen von Aarhus in Dänemark, schon einmal angetreten ist. Damals kam der Spezialist für Stadtkurse – niemand kann die Räume so eng machen wie er – nicht ins Ziel. Auf dem Lausitzring hat der DTM-Titelträger des Jahres 1986, damals auf Rover Vitesse, die Chance, die Scharte auszuwetzen. Denn ehrgeizig ist auch er – in gleichem Maße wie die anderen fünf Altstars im Feld der Tourenwagen Classics. Thorsten Stadler, amtierender Titelverteidiger in der neuen Kult-Rennserie für klassische Tourenwagen und für die technische Grundversorgung des weiß-gelben Viertürers zuständig, hat ihm einen wichtigen (Warn-)Hinweis mit auf den Weg gegeben: “Überdreh’ bloß den Motor nicht – Evo-Treibsätze gibt es keine mehr am Markt!” Da verwundert es nicht, dass Kurt Thiim und Gerbert Luttikhuis Alleindarsteller in ihrer Klasse 3 für Gruppe-H-Fahrzeuge sind – andere scheuen offenbar den Aufwand.
Verantwortlich für den Inhalt: Carsten Krome Netzwerkeins
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