14. Juli 1985, Renntag in Hockenheim. 1.000 Kilometer müssen die Leitfiguren der Endurance-Weltmeisterschaft heute hinter sich bringen. Doch bereits um 11.00 Uhr vormittags brennt die Sonne vom Himmel hoch herunter. Es wird unerträglich heiß im Motodrom. Der aus Tribünen gebaute Kessel mutiert zum Glutofen, aus dem ein Entrinnen schwerlich möglich ist – für die Piloten in den eng gebauten Cockpits ihrer Gruppe-C-Boliden, für das Boxenpersonal, für die Zehntausende auf den überbelichtet gleißenden Besucherrängen. Der Hauptsponsor des Veranstalters verleiht der Hitzeschlacht einen unfreiwillig treffenden Beinamen: “Duschfrisch Trophy” …
Wer würde sich, schon morgens um 11.00 Uhr in Schweiß gebadet, keine Abkühlung wünschen? Später an diesem Renntag wird es beim Nachtanken an den Boxen dreimal brennen. Bei aller Dramatik, die in der Luft liegt, bleibt an diesem 14. Juli 1995 die große Katastrophe ein letztes Mal aus. Noch sind sie in der Blüte ihres Lebens, auf Porsche an vorderster Front des Starterfeldes vertreten, die deutschen Formel-1-Asse Manfred Winkelhock und Stefan Bellof. Welches Schicksal sie erwartet, ahnt noch niemand. Oder etwa doch? Am 11. August 1985 wird der eine verunglücken, am 1. September 1985 der andere. Es ist der Anfang einer langen, verhängnisvollen Serie, der auch Jo Gartner aus Österreich und 1988 um Haaresbreite den Dänen Kris Nissen im fernen Japan trifft.
Bevor in der Gruppe C das Chaos ausbricht, feiert Hockenheim die Rückkehr seines Königs. Zu Zeiten der Formel 2 erwirbt sich Hans-Joachim Stuck diesen Nimbus. Ausgerechnet hier, an der Stätte seines ganz allmählich verblassenden Ruhms, gewinnt “Strietzel” am 14. Juli 1985 sein erstes Rennen als Porsche-Werksfahrer. Damit legen er und Derek Bell den Grundstein zum Gewinn der Endurance-Weltmeisterschaft der Fahrer. Überhaupt Bell: Der Brite ist mit 44 Jahren sicher nicht mehr der Jüngste im Feld, aufgrund seiner Routine aber ein Dauerbrenner im Porsche 962C. 1983 und 84 ist Stefan Bellof sein Teamkollege.
Der junge Draufgänger aus Giessen bricht alle Rekorde – und 1985 zu neuen Ufern auf. Er will sich in der Formel 1 durchbeißen, alles auf eine Karte setzen, Geld verdienen. Hans-Joachim Stuck übernimmt als 35-Jähriger Bellofs Platz im Porsche-Werksteam. Stefan Bellof fährt aber weiterhin Porsche – im privaten Rennstall des Schweizer Automatenaufstellers Walter Brun! Auch Hans-Joachim Stuck erwirkt eine Freigabe für Einsätze bei Brun Motorsport. So kommt es zu der kuriosen Situation, dass Stuck und Bellof zu unterschiedlichen Anlässen stets ein- und denselben Porsche 956 pilotieren: das Chassis Nummer 956.116, ausgeliefert am 9. Mai 1984. Stuck steuert es in Jägermeister-Orange, Bellof in Schiesser-Blau mit Weiß. Zwischen den Einsätzen wird immer wieder umfoliert – Auftakt eines bis heute gültigen Trends.
Bei den 1.000 Kilometern von Hockenheim 1985 blitzt die orange Grundlackierung noch durch die Schiesser-Beklebung, als Stefan Bellof und Thierry Boutsen die favorisierten Werks-962C ins Visier nehmen. Als der Brun-Porsche kurz vor Schluss – in Führung liegend – ohne Benzin ausrollt, fällt nicht nur die Entscheidung über den Tagessieg. Das Gerücht, zuletzt hätten die Kraftstoffpumpen vier Liter Wasser angesaugt, kursiert. Von Sabotage ist die Rede. Bloß: Wer könnte sie angezettelt haben? Unheilvolle Stimmung kommt auf. Am 1. September 1985 geht der Brun-956.116 in das nächste 1.000-Kilometer-Rennen. An diesem Sonntag bilden Stefan Bellof und der belgische Lokalmatador Thierry Boutsen in Spa-Francorchamps abermals ein Team.
Drei Wochen zuvor ist Manfred Winkelhock mit dem Kremer-Porsche 962C tödlich verunglückt, am Vortag erlebt der Engländer Dr. Jonathan Palmer im Lloyd-Porsche eine Schrecksekunde. Er zerstört den Canon-956B, verletzt sich, kann zum Rennen nicht antreten. Die Sportwagenwelt ist gewarnt, trotzdem lässt Stefan Bellof sich auf ein gnadenloses Duell mit Jacky Ickx ein. Sein Unfalltod in “L’Eau Rouge” unterstreicht die Gefahr, die über der Gruppe C latent schwebt. Der Funkverkehr zwischen den Mitgliedern des Porsche-Werksteams, aufgezeichnet von einer Videokamera im 962C von Jacky Ickx, geht um die Welt. Eigentlich ist der 40-jährige Belgier Ende 1979 vom aktiven Motorsport zurückgetreten. 1981 kommt er als Le-Mans-Sieger zurück, wird Fahrer-Weltmeister, gewinnt auf Porsche die Rallye Paris-Dakar, erhält als Prämie den allerersten Porsche 956. 1986 tritt Jacky Ickx endgültig ab. Der Franzose Bob Wollek nimmt seinen Platz ein.
Bei den 24 Stunden von Le Mans 1986 hält die Szene ein weiteres Mal den Atem an: Stuck gewinnt, aber Jo Gartner stirbt im neu aufgebauten Porsche 962C von Kremer. Bei den 12 Stunden von Sebring, wenige Monate zuvor, erringen Hans-Joachim Stuck und Jo Gartner zusammen im Coca-Cola-962 von Bob Akin noch den Sieg. Seite an Seite. Am 24 August 1986 scheint auch Stuck in eine tödliche Falle zu tappen. Beim 1.000-Kilometer-Rennen Nürburgring liegt er bei Regen und Nebel hinter seinem Stallkollegen Jochen Mass und sieht im Blindflug nicht, dass die Start-und-Zielgerade blockiert ist. Mit der linken Flanke seines Werkswagens 962.003 – dem Siegerwagen vom Hockenheimring ein Jahr zuvor – touchiert er den vorausfahrenden Mass. Wie mit einem Dosenöffner werden linke Tür und linker Seitenkasten bis zum linken Hinterrad aufgerissen. Das Wrack schleudert rückwärts in Richtung “Castrol-S”.
Stucks unfassbares Glück: seine Sitzposition. Der Porsche 962C wird rechts gesteuert, der Einschlag trifft ihn aber links. “Heute habe ich 37. Geburtstag gefeiert”, kommentiert der Gaudibursche ungewohnt nachdenklich. Auf dem Papier ist er ein Jahr jünger, nicht jeder versteht das Wortspiel. Im September 1986 kehrt Hans-Joachim Stuck an den Nürburgring zurück. Im Sport-Auto-Supercup führt er das neue PDK-Getriebe im schwarzen Blaupunkt-962C #005 ein. Nach dem Freitagstraining ist auch davon nur noch ein Schrotthaufen übrig – Unfall, Totalschaden, Umstieg in den Ersatzwagen. Äußerlich ungerührt, gewinnt Hans-Joachim Stuck tags darauf den Supercup und 1987 zum zweiten Mal in Le Mans. Bei wechselnden Verhältnissen muss er über drei Stunden auf die ersehnte Ablösung warten. Porsche-Rennleiter Peter Falk will ihn, den Regenspezialsten, möglichst lange im Auto sitzen lassen. Stuck schält sich völlig fertig aus der schmalen Glaskanzel heraus. Und hat Jaguar tatsächlich die Führung entrissen.
1988 misslingt das Triple in Le Mans. Jaguar nimmt Revanche für die Schlappe im Vorjahr. Zu diesem Zeitpunkt ist “Strietzel” Stuck bereits Audi-Werksfahrer. Der Kontakt zu Porsche reißt aber nicht ab, im 962C von Reimhold Joest nimmt er weiter an den 24 Stunden von Le Mans teil. In der US-amerikanischen IMSA-Supercar-Meisterschaft ist er mit dem 911 (964) turbo des Traditionsrennstalls Brumos Racing eine Macht. 1993 startet er elfmal von der Pole-Position und siegt neunmal. Eine noch schärfere Waffe verspricht der 911 turbo S LM GT zu werden, der bei den 24 Stunden von Le Mans 1993 ein neues Zeitalter eröffnet. Die Ära der GT-Sportwagen bricht an. Aber nicht für Stuck, Walter Röhrl und Hurley Haywood, die nach Kollision früh ins Abseits geschoben werden. Besser läuft es 1994: dritter Platz im Dauer-962 LM, Thierry Boutsen und der US-Amerikaner Danny Sullivan sind Stucks schnelle Partner.
1995 wiederholen Stuck und Boutsen den dritten Platz in Le Mans, diesmal mit dem Kremer-K8 Spyder #WSC 02. Christophe Bouchut betätigt sich als dritter Mann. Doch irgendwie ist klar: Es muss noch einmal ein Sieg an der Sarthe her, der dritte insgesamt! Der 1996 kommende Porsche 911 GT1 ist dafür wie geschaffen. Da ist allerdings auch der ausgefuchste Reinhold Joest mit seinem TWR-Porsche aus der Feder des Engländers Ross Brawn. Dem Bügelbrett werden an der Hinterachse breitere Reifen als dem 911 GT1 zugestanden – Platz eins ist bezogen. 1997 erfährt der 911 GT1 eine erste Evolution mit modernisierter Front- und Heckpartie. Joest ist trotzdem nicht aufzuhalten. Er triumphiert nach 1996 schon zum zweiten Mal hintereinander – für Stuck ist der Traum von der Wiederholung des Doppelerfolgs von 1986 und 1987 hingegen ausgeträumt. Zehn Jahre später wäre das eine grandiose Geschichte gewesen, die Krönung einer mitunter wechselvollen Karriere. Aber, wie so oft in einem (Rennfahrer-)Leben, heißt es auch diesmal: Es hat nicht sollen sein.
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